Mit großem Engagement für einen fairen Urnengang

■ Der Streit um das Wirken von Wahlbeobachtern der OSZE in Grosny zeigt, daß längst nicht alle politischen Fraktionen in Moskau den Friedensprozeß bejahen

Es gibt kaum einen Tschetschenen, der mit den Wahlen nicht auch die Hoffnung verbände, daß endlich Ruhe und Normalität in den Kaukasus zurückkehren. Die Bürger sind hoch politisiert, und jeder fühlt sich verpflichtet, dafür zu bürgen, daß der Urnengang demokratisch vonstatten geht. Gefahr im Innern und Wahlbetrug schließen sie aus. Internationale Beobachter von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sollen die vorschriftsmäßige Abwicklung der Wahlen bezeugen. So wünschten es die Tschetschenen, um sich gegen Vorwürfe aus Moskau von vornherein abzusichern. Mittlerweile sind unabhängige Beobachter auch eingetroffen.

Doch um das Wirken der OSZE in Grosny entwickelte sich in den letzten Wochen ein ziemlicher Lärm, der als Beweis dafür gelten mag, daß der Friedensprozeß in der russischen Innenpolitik nicht unisono bejaht wird. Allerdings mangelt es den Gegnern einer friedlichen Lösung an einem Alternativkonzept. Das hindert sie indes nicht, Mutmaßungen und unhaltbare Unterstellungen zu lancieren. Serge Schachrai, stellvertretender Stabschef Boris Jelzins, beschuldigte den Leiter der OSZE in Grosny, Tim Guldimann, im Kaukasus seine privatgeschäftlichen Interessen zu verfolgen, und wünschte seine Abberufung.

500.000 US-Dollar hatte die OSZE für die technische Abwicklung der Wahlen zur Verfügung gestellt, aber nicht ohne sich vorher bei der russischen Seite rückzuversichern. Der Chef des Sicherheitsrates, Iwan Rybkin, hatte die Finanzhilfe ausdrücklich gebilligt. Die russische Staatsduma reagierte dennoch gereizt und verabschiedete eine Resolution, in der sie Guldimann vorhielt, sich in die inneren Angelegenheiten Rußlands einzumischen. Zu guter Letzt schaltete sich auch noch Außenminister Primakow ein, der die Hilfe der OSZE auf russischem Boden grundsätzlich für überflüssig hält.

Die Friedensbefürworter im Kreml gehen unterdessen von dem Kalkül aus, nach den Wahlen zumindest einen legitimierten Ansprechpartner in Tschetschenien zu haben. Auch sie bestehen auf der territorialen Integrität Rußlands und sind nicht gewillt, die Kaukasusregion in die Selbständigkeit zu entlassen. Hier baut man im Gegensatz zur gewaltsamen Lösung scheinbar auf wirtschaftliche Faktoren, die die Einbindung auf lange Sicht sichern helfen sollen.

Die derzeitige Stimmung in Tschetschenien widerspricht indes Erfolgsaussichten dieser Strategie. Im Jahre 2001 steht die endgültige Entscheidung der Statusfrage an. Womöglich wird Tschetschenien ein zweites Taiwan: de facto selbständig, de jure von der Mehrheit der Subjekte der internationalen Gemeinschaft jedoch nicht anerkannt. Mit dieser Spielart könnte Rußland sein Gesicht wahren.

Mit Sicherheit werden laute Stimmen in Moskau die Wahlen für illegitim erklären. Immerhin wurde das Problem nicht geklärt, wie die 350.000 Flüchtlinge außerhalb der Kaukasusrepublik am Wahlgang teilnehmen können. Moskaus Zentrale Wahlkommission schlug vor, Wahllokale dort zu öffnen, wo sich viele Flüchtlinge aufhalten. Die Tschetschenen lehnten ab, sie befürchten Manipulationen. Stimmt ein Drittel der Bevölkerung jedoch nicht mit, bietet das den Gegnern einen willkommenen Anlaß, das Ergebnis für nicht repräsentativ zu erklären.

Versuche, die Lage zu destabilisieren und die Tschetschenen in den Augen der Weltöffentlichkeit zu diskreditieren, hat es in den letzten beiden Monaten mehrfach gegeben. Im Dezember wurden sechs Mitarbeiter des Roten Kreuzes ermordet. Im Januar entführte man den Priester der russisch-orthodoxen Kirche in Grosny und zwei Journalisten des staatlichen russischen Fernsehens. Der Priester konnte inzwischen von Mitarbeitern des tschetschenischen Innenministeriums befreit werden. Wer hinter diesen Machenschaften steckte, ist nicht im einzelnen geklärt. Doch die Hintermänner vermutet man in Moskau.