Geburtstagsgrüße vom Bund

■ 1969 Geborene werden eingezogen, ob Studium oder nicht

27 Jahre alt und noch immer jung genug – zumindest für die Bundeswehr. Seit Anfang des Jahres hat die Bundeswehr die Berliner Post strapaziert. Noch vor deren 28. Geburtstag hat sie allen 1969 geborenen Westberlinern die Einzugsbescheide zugeschickt. Sonst entgingen die Alten dem Dienst an der Waffe, und der Bundeswehr fehlten die Rekruten.

Rund 12.000 Männer trifft die unheilvolle Postzustellung. Sie waren dem Dienst an der Waffe bisher entgangen, da das Kreiswehrersatzamt erst 1991/92 mit der Erfassung begonnen hatte. Damals waren die 21- und 22jährigen schon im Studium oder in der Ausbildung – und damit freigestellt. Zwar hatten die Berliner PolitikerInnen von schwarz bis grün zur deutschen Einheit versprochen, daß keiner, der über 18 Jahre alt war, eingezogen werde. Aber die administrative Grenze wurde in Westberlin trotzdem auf 1969 festgelegt.

Denen, die 1969 geboren sind, hilft jetzt aber auch das Studium nicht mehr: „Die Leute werden aus dem Studium gezogen, egal, ob sie über der Regelstudienzeit liegen oder nicht!“ sagt Christian Hertz von der „Kampagne gegen Wehrpflicht“ in Berlin. Viele hatten vor dem Studium erst einmal eine Lehre gemacht. In der Oranienstraße, dem Sitz der Kampagne, gehe es schlimmer zu als in einer Arztpraxis, so viele Hilferufe gingen dort ein. Und die Leute brauchen Hilfe: Wer einen Arbeitsplatz in Aussicht hat, muß eigentlich angeben, daß die Waffe winkt, dann verliert er aber die schon zugesagte Stelle.

Eigentlich gilt bei der Bundeswehr ja das Motto „Jung vor alt“, aber weil immer mehr junge Männer verweigern oder Zivildienst leisten, fehlen die Rekruten. „Nur noch ein Drittel eines Jahrgangs steht der Bundeswehr wirklich zur Verfügung“, sagt Christian Hertz. In Berlin trifft das neben dem Jahrgang 1969 auch die Jahrgänge 1970 und 1971. Bei ihnen war das Kreiswehrersatzamt ebenfalls zu spät. Der erste regulär erfaßte Jahrgang in Berlin waren die 1972 Geborenen. Jetzt hat die Bundeswehr schon Sondereinheiten für die Älteren eigerichtet. „69 wird der deprimierendste Jahrgang“, vermutet Hertz. Denn Achtundzwanzigjährige lassen sich nicht gern von Zwanzigjährigen rumkommandieren. Nathalie Daiber