Der Bizeps ist die Botschaft Von Mathias Bröckers

Das Jugendschutzgesetz wird an den Berliner Kinokassen recht strikt durchgesetzt. Im Zweifelsfalle verlangt der Kartenabreißer den Schülerausweis, weshalb einige Kids bereits Doubletten bereithalten: einen fürs Kino, mit Alter über 16, und einen mit Alter unter 14, um anderswo noch die Kinderermäßigungen mitzunehmen. Was aber tun, wenn nicht alle Kumpels derart präpariert sind und im Kino der neue Van Damme mit „Maximum Risk“ ab 16 lockt?

So kommt es zu merkwürdigen Avancen an die Eltern: „Habt Ihr heute abend schon was vor, wollt Ihr nicht mal wieder ins Kino?“ Gesucht wird ein Erziehungsberechtigter, der den Knaben durch seine Begleitung Zutritt verschafft. Auf das Argument, daß wir uns einen solchen Karateschwachsinn nicht freiwillig antun, zeigen sich die Van-Damme-Fans gewappnet: „Ihr braucht uns ja nur reinbringen und könnt dann in Kino 2 ,Rossini‘ gucken!“ bettelt der Junior, und sein Kollege assistiert: „Da geht's darum, wer's mit wem treibt und so, soll echt gut sein, ist bestimmt interessant für Sie.“

Also wird die Gang in den Kombi verladen, und ab geht's zum Zoopalast, wo diese Kurzkritik des Münchner Schicki-Ficki-Dramas sich offenbar rumgesprochen hat: „Rossini“ ist ausverkauft. Volles Risiko, 5mal Maximum Risk – und tatsächlich fragt die Kassiererin mit inquisitorischem Blick: „Alle über 16?“ – „Aber ja doch!“ Beziehungsweise zumindest seit zehn Jahren intensiv mit Superhelden und Muskelmännern befaßt, schon der Kinderladen hieß „Castle of Eternia e.V.“, weil die Kurzen damals auf He-Man und die Masters of the Universe standen. Es folgten Spiderman, die Turtles, der Knight-Rider und Arnold als Terminator sowie diverse Kung-Fu- und Kickbox-Meister einschließlich Jean-Claude Van Damme. Jener sieht aus wie eine zu kurz und zu breit geratene Anabolika-Version des jungen Belmondo, ist aber, wie mir die juvenilen Experten versichern, nicht nur ein aufgeblasener Bodybuilder, sondern macht als „echter Kämpfer“ alle Stunts selber... Und da hat er reichlich zu tun, denn von der ersten Verfolgungsjagd bis zur finalen Schlägerei gibt es einiges zu erledigen, vor allem Verfolgungsjagden und Schlägereien. Der Bizeps ist die Botschaft und Van Damme der konventionelle Handwerker in der Herkules-Branche. „Professionell gemacht“, befinden die Kritiker hinterher, „die Kamerafahrten bei der Verfolgungsjagd, bei den Kämpfen, die Effekte und Explosionen, und sogar die Geschichte spannend.“ Im SVGA- und 3-D- Graphik-Zeitalter werden an Heldensagen optisch ganz andere Maßstäbe angelegt als früher.

Daß Old Shatterhand seinen Gegner mit einem Schlag niederstreckt, was uns Karl-May-Lesern seinerzeit als Thrill vollkommen reichte, lockt heute niemanden mehr. Wie auch, wenn zuvor in der Werbung Doubles von Lex Barker und Pierre Brice auftreten und Shatterhand mitteilt, daß durch das Land der Apachen eine Eisenbahn gebaut wird. „Ich weiß es schon“, sagt Winnetou, „ich lese jeden Tag das große Blatt des weißen Mannes“ – und zückt eine Bild-Zeitung. Sodann reiten beide in den Sonnenuntergang und verkündigen: „Ich liebe dich, mein Bruder.“ Schöne Superhelden das, händchenhaltend – kein Wunder, daß es da Hackklötzchen wie Van Damme braucht.