Verfassungsstreit um sozialistische Altschulden

■ LPG-Nachfolger wollen ihre DDR-Unternehmenskredite nicht zurückzahlen

Freiburg (taz) – Wer Geld schuldet, muß es zurückzahlen. Aber gilt dies auch für Kredite aus der sozialistischen DDR-Agrarwirtschaft? Darüber verhandelt heute das Bundesverfassungsgericht in Naumburg an der Saale.

Anlaß für die Verhandlung ist eine Verfassungsbeschwerde des Rechtsanwalts Hans-Ulrich Wolf aus Schönebeck. Wolf fungiert als Konkursverwalter der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) „Einheit“ Schlanstedt, die kurz nach der Wiedervereinigung bankrott gegangen war. Aus der Konkursmasse verlangte die westdeutsche DG-Bank zwei Millionen Mark. Die DG-Bank hatte nämlich die Altschulden fast aller ehemaligen LPGs übernommen. Ob es sich hierbei aber wirklich um echte Kreditverpflichtungen handelte, ist heftig umstritten.

Daß Unternehmenskredite in der Planwirtschaft eine andere Funktion hatten als in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, bestreitet heute niemand mehr. So wurden die Kredite nicht frei ausgehandelt, sondern der LPG entsprechend den Planvorgaben zugeteilt. Sah der Plan eine Kreditaufnahme vor, dann konnte die LPG das Geld nicht einmal ablehnen.

Dennoch entschied im Oktober 1993 das höchste deutsche Zivilgericht, der Bundesgerichtshof (BGH): „Auch die Änderung der Verhältnisse durch die Wiedervereinigung hat die Verpflichtung zur Kreditrückzahlung und zur Verzinsung nicht entfallen lassen.“ Vielmehr sei der Einigungsvertrag von der Fortgeltung der Altschulden ausgegangen, und seither habe der Bundestag auch keinerlei Streichung beschlossen. Konkursverwalter Wolf erhob Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil. Er bezweifelte zwar nicht, daß der BGH die geltende Rechtslage richtig erkannt hat, wohl aber, daß diese Rechtslage der Verfassung entspreche.

Tatsächlich trug der Fortbestand der Altschulden wesentlich dazu bei, daß viele LPGs schon kurz nach der Wende in Gesamtvollstreckung fielen oder liquidiert wurden. Ein Großteil der ursprünglich 7,6 Milliarden Mark belaufenden Altschulden mußte dabei abgeschrieben werden.

Auf rund 1.400 LPG-Nachfolgebetrieben ruhten schließlich noch Altforderungen in Höhe von 4,2 Milliarden Mark. Davon übernahm die Treuhand 1,4 Milliarden Mark. Diese Teilentschuldung stellte in Rechnung, daß viele Kredite einst nicht nur für Maschinen, Futter, Saatgut oder Dünger aufgenommen wurden, sondern auch zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben wie Straßen, Kinderkrippen und Wohnungen. Im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen allerdings keine ausgesprochen großzügige Regelung.

Auch für die verbliebenen 2,8 Milliarden Mark fand die Bundesregierung eine ihrer Meinung nach „angemessene“ Lösung. Der Restbetrag wurde gestundet und muß nur in den Jahren abbezahlt werden, in denen der Betrieb auch Gewinn erwirtschaftet; und selbst dann ist der Liquiditätsabfluß auf 20 Prozent des Überschusses begrenzt. Allerdings sind die Verbindlichkeiten auch während der Stundung zu verzinsen und wachsen deshalb immer weiter.

Die Folge: „Nahezu der gesamte durch die Entschuldung erfaßte Betrag ist durch die aufgelaufenen Zinsen als Forderung wieder neu entstanden“, stellt Professor Alexander von Brünneck in einem Gutachten für die Landesregierung von Sachsen-Anhalt fest.

Doch die Bundesregierung zeigt sich bisher ungerührt. Offen begründet sie dies mit Haushaltszwängen. Denn seit der Schuldenstundung trägt der Bund das finanzielle Risiko für die LPGAltschulden.

Außerdem will die Bundesregierung Wettbewerbsnachteile für Westlandwirte vermeiden. Denn diese wären nach einer Streichung der LPG-Altkredite pro Hektar doppelt so hoch verschuldet wie die ostdeutschen Agrarfirmen, die immer noch mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Fläche in den neuen Ländern bewirtschaften und immer häufiger schwarze Zahlen schreiben.

Egal wie das Verfahren endet, das Urteil wird Signalfunktion für andere Altschuldenkonflikte haben. Vor allem um die sozialistischen Erblasten der Ostkommunen, die (inklusive Zinsen) inzwischen auf 8,4 Milliarden Mark angewachsen sind, ist zwischen Bund und Ländern ein heftiger Streit im Gange. Christian Rath