Mangelhafter Schutz für Flüchtlingskinder

■ Deutsches Asylrecht widerspricht den Normen der UN-Kinderkonvention

Bonn (taz) – Der Umgang mit unbegleiteten Flüchtlingskindern in Deutschland verstößt gegen den Geist der UN-Konvention über die Rechte des Kindes, die von der Bundesregierung 1992 ratifiziert worden ist. Diesen Vorwurf haben gestern in Bonn Vertreter der National Coalition (NC) erhoben.

Die NC ist ein Zusammenschluß von mehr als 90 deutschen Organisationen, die sich die Umsetzung der UN-Konvention in die politische Praxis zum Ziel gesetzt haben. Auf ihrer Pressekonferenz kritisierten NC-Sprecher vor allem das auch für Minderjährige geltende Asylverfahren. Die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung werde von Jugendlichen als „Verhör“ empfunden, bei dem sie sich „ohnmächtig und ausgeliefert“ fühlten, erklärte Jochen Menzel von Terre des Hommes. „Es geht uns darum, daß Minderjährige endlich als Minderjährige und nicht nur als störende, unerwünschte Ausländer wahrgenommen und behandelt werden.“

Noch deutlicher wurde sein Kollege Heiko Kauffmann von der Organisation Pro Asyl: „Wer das Leid dieser oft völlig erschöpften und traumatisierten Kinder immer wieder erlebt, findet kein Verständnis für die gesetzlich vorgeschobene, absichtsvolle Verweigerung von Hilfe.“

Im einzelnen fordert die NC eine kindgerechte Unterbringung, Förderung und Betreuung, ein Verbot von Inhaftierung sowie die Aussetzung der Flughafen-und Drittstaatenregelung für unbegleitete Minderjährige. Diesen solle grundsätzlich die Einreise gestattet werden. Der Kinderschutz müsse entsprechend der UN-Konvention bis auf das 18. Lebensjahr ausgedehnt werden. Auch Jugendliche zwischen 16 und 18 dürften nicht als Erwachsene behandelt werden. An die Stelle des bisher geltenden Asylverfahrens soll nach der Vorstellung der NC die Einrichtung spezieller Clearing-Stellen treten. Die genauen Umstände einer Flucht ließen sich oft erst nach dem längeren Aufbau eines Vertrauensverhältnisses klären, betonte Jochen Menzel. Das gelte vor allem, wenn Kinder in ihrer Heimat Opfer von Sippenhaft und Erpressungen geworden seien oder Zwangsrekrutierung und Verschleppung von Angehörigen miterlebt hätten.

Menzel sagte, in manchen Fällen gäben Kinder als Begründung für ihre Einreise nach Deutschland den Wunsch an, Fußballstar zu werden oder „viel Geld“ zu verdienen. Häufig seien derartige Angaben auf „liebevolle Lügen“ der Eltern zurückzuführen, die ihre Kinder mit beruhigenden Sätzen auf die Reise geschickt und ihnen die Wahrheit über politische Verfolgung der Familie in der Heimat verschwiegen hätten: „Glauben Sie, die jüdischen Eltern hätten ihren Kindern, die sie vor 60 Jahren ins Ausland geschickt haben, die ganze Wahrheit gesagt?“ Für unbegleitete Minderjährige könne aber bei der Ankunft in Deutschland eine solche Aussage die Abschiebung bedeuten.

Kritik übte die NC auch an der kürzlich im Eilverfahren festgelegten Neuregelung, der zufolge nun Kinder aus früheren Anwerbestaaten wie der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen brauchen. Diese neue Verordnung sei „in der Sache eine Verschärfung des Ausländerrechts für Kinder insgesamt“, sagte NC-Sprecher Sven Borsche. Jochen Menzel nannte sie „ein Signal in die völlig falsche Richtung“. Bettina Gaus