„Der Staat würde kläglich scheitern“

■ Heroin freigeben? Ein Doppelinterview mit Polizeipräsident Rolf Lüken und Innensenator Ralf Borttscheller

amburgs Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) kämpft seit fast fünf Jahren für einen Heroin-Modellversuch. Nach jahrelangem Warten debattiert heute der Gesundheitssausschuß des Bundestages über einen von Hamburg initierten Gesetzentwurf des Bundesrates. Das Gesetz soll endlich den Weg für eine kontrollierte Heroinabgabe an langjährig Drogenabhängige in einem Modellversuch möglich machen. Eine Forderung, die jetzt auch Polizeipräsidenten der Republik propagieren. Die taz sprach mit Polizeipräsident Rolf Lüken (bisher Gegner einer kontrollierten Heroinabgabe) und Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) über seinen abtrünnigen Polizeipräsidenten.

taz: Kontrollierte Heroinabgabe war für Sie bisher ein falsches Signal. Seit gestern abend ist es für Sie bereits vorstellbar.

Polizeipräsident Rolf Lüken: Ich wurde ja in dem Fernsehinterview gefragt, wie es mit Schwerstabhängigen sei.

Aber nichts anderes fordert doch der Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau.

Da muß man unterscheiden, zwischen dem Hamburger Vorstoß, bezogen auf Schwerstabhängige, und der freien Vergabe von Heroin an Abhängige, die ja ständig nachwachsen. Bei einem Modell für Schwerstabhängige muß man sich fragen, ob das unser Menschenbild sein kann. Schließlich versucht man gar nicht mehr, sie aus dem Sumpf herauszuziehen, sondern stabilisiert sie weiter in ihrer Sucht. Wenn jemand aber wirklich medizinisch ganz am Ende ist, dann ist so ein Modell für mich kein Problem. Wenn man aber Heroin frei an Abhängige vergeben will, um die Kriminalitätsrate zu senken, dann ist das was anderes.

Da wird sich Ihr Dienstherr und Innensenator Ralf Borttscheller aber die Haare raufen.

Meine Haltung dazu ist schon lange so. Ich muß da ja nicht parteipolitisch Rücksicht nehmen, weil ich ja selbst parteilos bin. Der Innensenator hat gesagt, daß die Botschaft an die Gesellschaft durch den Gesetzgeber sein muß: Wenn man die Drogen nicht verhindern kann, dann muß man den Drogenausstieg propagieren. Wenn jetzt aber das Ziel nicht mehr der Ausstieg ist, sondern eine Stabilisierung, dann bin ich mit dem Innensenator völlig d–accord.

Gut, jetzt reden Sie über Menschenbilder und die Gesellschaft. Bei Kriminalitätsraten geht es aber um knallharte Fakten, die Sie als Polizeipräsident auf dem Tisch haben, und auch andere Präsidenten in den Großstädten. Da fordern 20 von 30 vom Spiegel befragte, daß man endlich neue Wege in der Drogenpolitik wagen muß. Zum Beispiel freie Heroinvergabe an größere Abhängigenkreise, um gleichzeitig Dealern und der Beschaffungskriminalität den Garaus zu machen

Da halte ich es jetzt mit Lessing: Wer die Wahrheit sucht, darf die Stimmen nicht zählen. Es ist nicht gesagt, daß die Mehrheit Recht hat. Sicherlich ist der Ansatz pragmatisch – aber um welchen Preis. Wenn man Kriminalität verhindern will, dann muß man zwei andere Wege gehen. Zum einen, die Einflußnahme auf Drogenkartelle und organisierte Kriminalität für die Strafverfolgungsbehörden zu vergrößern. Und zum anderen mehr versuchen, die Heroinabhängigen aus der Drogensucht zu holen. Die Nachsorge müßte vehementer betrieben werden. Schließlich schlagen laut Spiegel über 13 Milliarden Mark volkswirtschaftlich durch die Drogenkriminalität zu Buche, aber nur 600 Millionen Mark für die Betreuung Drogenabhängiger.

Genau diese Zahlen führen auch die Befürworter einer freien Vergabe an. Ihr Argument: Die bisherige Drogenpolitik, die auf Illegalität beharrt, hat versagt.

Aber die Beispiele in England und Schweden haben es doch gezeigt: Das Ergebnis war eine Verdoppelung bis Verzehnfachung der Heroinabhängigen. Die haben ganz schnell wieder davon die Finger gelassen. Wenn ich das sehe, dann bin ich voll auf einer Linie mit dem Innensenator.

Aber die Gesetzesinitiave aus Hamburg will ja erstmal nur neue Schritte anstoßen – und seriös und kontrolliert an Schwerstabhängige Heroin vergeben. Für den Innensenator ist das der Anfang vom Übel, an dessen Ende das kollektive Drogenfiasko steht.

Wenn ich mir junge Leute angucke, die sich überlegen, mal Heroin zu nehmen, und es dann machen, dann kommen sie in die absolute Abhängigkeit und nicht mehr von dem Teufelszeug herunter. Wenn dieser Mensch im Hintergrund vom Staat aber das Signal hat: Wenn es mit dem Heroin schiefgeht, dann werde ich vom Staat aufgefangen. Ja, was soll diesen Menschen dann noch hindern, Heroin zu nehmen.

Jetzt sind sie doch wieder dagegen, Heroin kontrolliert an schwierige Fälle zu vergeben.

Ich habe gesagt, für diejenigen, die jetzt schon schwerstabhängig sind.

Aber wenn das Modell läuft, wachsen ja junge Menschen nach.

Der Schwerstabhängige muß doch irgendwie behandelt werden. Das ist doch eine medizinische Frage.

taz: Ihr Polizeipräsident Rolf Lüken kann sich kontrollierte Abgabe an Schwerstabhängige vorstellen. Kapituliert die Bremer Polizei?

Innensenator Ralf Borttscheller (CDU): Mit Sicherheit nicht. Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Herrn Lüken, daß er die Heroinfreigabe grundsätzlich ablehnt. Ich kann mir eine kontrollierte Abgabe von Heroin in einem Kliniktherapieprogramm unter ärztlicher Aufsicht durchaus vorstellen. Es ist keine gute Sache, wenn Politiker Medizinern ins Handwerk pfuschen. Aber man muß die Diskussion auf einer anderen Ebene führen: Der Hamburger Bürgermeister Voscherau will ja die begrenzte Drogenfreigabe durchsetzen, um den Drogenmarkt kaputtzumachen.

Aber im Grunde hat er etwas vorgeschlagen, was Sie aus medizinischen Gründen scheinbar begrüßen.

Man muß sich über die Konsequenzen einer kontrollierten Abgabe im Klaren sein. Voscherau sieht ja, daß er aufgrund der Gesetzesgrundlagen so etwas überhaupt nicht machen kann. Rechtsfreie Räume sieht unser Gesetz nicht vor.

Es hat aber keinen Sinn, jetzt über bestehende Gesetze zu diskutieren. Schließlich hat Voscherau für Hamburg eine Gesetzesinitiative eingebracht, um das Betäubungsmittelgesetz zu ändern. Für ihn ist die repressive Drogenpolitik gescheitert.

Das sind die Schlagwörter des SPD-Flügels, der nun seine vermeintlich progressiven Positionen durchsetzen will. Der SPD-Vorschlag ist ja schon in der SPD selbst hoch umstritten. Ich glaube, daß der Bremer Polizeipräsident Lüken falsch interpretiert wird. Er ist im Prinzip gegen so ein Programm.

Weil Sie auch dagegen sind.

Nein, ich habe weder von einem Weisungsrecht Gebrauch gemacht, noch würde ich einem sehr vernünftigen Polizeipräsidenten einen Maulkorb umhängen.

Aber er sitzt an der Quelle und weiß, was für Probleme die Polizei mit der Drogen-Kriminalitätsbekämpfung hat.

Ich habe nichts dagegen, Junkies eine medizinische, menschliche Hilfe anzubieten. Bremen ist mit dem Methadonprogramm führend in Deutschland, wir sind da schon viel weiter als Hamburg. Das bringt eine große Entlastung, weil Junkies aus der Kriminalität aussteigen können.

Das Beispiel Zürich geistert gerade als Erfolgsmodell durch die Medien: Dort bekommen 800 Süchtige kontrolliert Heroin vom Staat. Der Effekt: Die Schweizer rühmen ihre sauberen Straßen sowie sinkende Kriminalitätsraten. Das müßte doch ganz in Ihrem Sinne sein.

Das ist so dermaßen geschönt worden, daß ich nur mit dem Kopf schütteln kann. Das Wort Methadon fällt in diesem Zusammenhang gar nicht. Wenn Heroin freigegeben wird, dann muß ich zu Recht fragen: Soll der Staat auch den Ecstasy-Handel in Discotheken organisieren? Die Frage ist doch: Soll der Staat den Drogenhandel organisieren, um den Schwarzmarkt kaputtzumachen? Je tiefer man in diese Diskussion einsteigt, desto klarer wird, daß der Staat damit kläglich scheitern würde.

Es hat aber auch noch niemand gesagt, daß die bisherige Drogenpolitik, die Sie ja auch propagieren, bisher sonderlich erfolgreich war. Nehmen Sie das Beispiel Bremen mit den Herointoten vom Wochenende. Die Polizei bekam keinen Haftbefehl, weil es ein kleiner Straßendealer war. Wenn Dealer nun durch freie Heroinvergaben weniger verdienen und gleichzeitig härter bestraft werden, sieht das mit dem Schwarzmarkt schon ganz anders aus – sagen die Vergabe-Befürworter.

Wir müssen feststellen, daß durch die repressive Drogenpolitik die Zahl der Drogentoten überschaubar geblieben ist. Die Tabuisierung und Kriminalisierung von Drogen war relativ erfolgreich. Vor allem wenn wir uns die Zahl der Menschen vor Augen führen, die am Konsum legaler Suchtstoffe wie Alkohol und Nikotin gestorben sind. Natürlich kann solch ein Verbot nur begrenzt durchgesetzt werden, wenn wir nicht den totalen Polizeistaat haben wollen. Dafür lasse ich mich auch gerne als Hardliner beschimpfen. Legalisierung ist der falsche Weg. Man dreht das Rad nur zurück.

Neue Wege halten Sie also für einen Rückschritt?

Ich glaube, daß wir mit den bisherigen Mitteln das Problem kleinhalten können. Fragen: kat