"Manche reden sich um Kopf und Kragen"

■ Fußballnationalspieler Jens Todt über Profi- und Medienkollegen in einem "Stück Unterhaltungsindustrie"

taz: Wenn der Kolumnist Jens Todt über Fußball schreibt, schreibt er gerne über Medien, die nie zufrieden sind. Selbst dann nicht, wenn das DFB-Team Europameister wird.

Jens Todt: Das wurde von mir ein bißchen überzeichnet. Aber daß die Medien nie zufrieden sind, liegt in der Natur der Sache. Es gibt keine langweiligeren Schlagzeilen als positive. Eine Mannschaft gewinnt ein paar Spiele, und alles ist super. Dann muß wieder ein Bruch, dann muß etwas anderes kommen. Das ist ein Gesetz der Branche.

Als Gelegenheitsjournalist sind Sie diesem Gesetz nicht unterworfen?

Momentan stehe ich auf der Seite der Fußballer und möchte auch mal rummeckern können. Fußball wird im Vergleich zu anderen Sportarten völlig überbewertet. Das hat auch Auswirkungen auf die Medien, da nehmen sich einige Vertreter viel zu wichtig. In meinem ersten Artikel habe ich mal Journalisten aufs Korn genommen und klassifiziert.

Wie haben die „Schmierfinken“, die „Aufsteiger“, „Feuilletonisten“ und „Lokaljournalisten“ reagiert?

Da kamen einige Reaktionen. Ein paar Leute waren auch richtig angefressen.

Die Eitelkeit beschränkt sich nicht auf die medialen Verwerter des Fußballs.

Nein. Fußball wird so grotesk wichtig genommen, daß viele Profis gar nicht anders können, als sich selbst auch so wichtig zu nehmen. Wenn man als 18jähriger Spieler in diesen Medienlandschaft reinkommt, ist das eine große Gefahr. Man sieht sich jede Woche im Fernsehen und denkt, hoppla, ich bin ein ganz schön Großer. Wenn man drei gute Spiele macht, ist man ein Kandidat für die Nationalmannschaft und gibt Interviews ohne Ende.

Sie raten den Kollegen, nicht Sekunden nach Spielende gedankenleer in jede Journalistenfalle zu tappen.

Nach dem Spiel stehen die Reporter Schlange mit der Standardfrage: „Na, wie fühlen Sie sich?“ Die einzig authentische Antwort wäre manchmal ein gepflegter Leberhaken. Das geht natürlich nicht. Statt dessen reden sich manche Profis um Kopf und Kragen. Aber jeder Spieler fällt mal auf die Schnauze und lernt die Gesetzmäßigkeiten dieser Branche kennen. Wir sind ein Stück Unterhaltungsindustrie.

Sat.1 ist hauptverantwortlich für diese Entwicklung?

Seit Sat.1 die Bundesliga präsentiert, hat der Fußballboom richtig eingesetzt. Die verkaufen die Spiele besser, es ist oft mehr Show als Sport. Das hilft, den Fußball zu verkaufen und Geld zu verdienen – dem Sport nützt diese reißerische Berichterstattung nicht.

Die Spieler profitieren von der Kommerzialisierung.

Es ist schwierig, da nicht zu heucheln. Man muß aufpassen, daß man nicht unglaubwürdig wird, wenn man einerseits von der Kommerzialisierung profitiert und andererseits nicht jeden Scheiß mitmachen will, der damit zusammenhängt.

Was für Scheiß?

Die Sachen am Rande. Sat.1 muß eine Sendung von zwei Stunden füllen. Manchmal haben die nur schlechte Spiele, in denen keine Tore gefallen sind. Da bekommen Nebengeräusche zentrale Bedeutung. Trailer, Homestories und Personality-Geschichten. Vor dem Spiel mit dem dicken Mercedes auf die Auffahrt fahren. Oder beim Spieler zu Hause Fotos machen: mit der Freundin auf dem Sofa. Oder man verleitet einen jungen Spieler, einen dummen Spruch zu machen, sich zu verkleiden und den Affen zu machen. Diese Show- Elemente kann man weglassen. Und wenn es ein Null-null-Spiel ist, dann soll man auch sagen, es war ein Scheißspiel. Eine Reduzierung auf das Wesentliche, das Sportliche wäre gut.

Bayern-Manager Uli Hoeneß ist anderer Meinung. In Zukunft, sagt er, müßte der Unterhaltungswert vor dem sportlichen Wert stehen.

Wenn man die Unterhaltungsschraube überdreht, werden die Fans irgendwann sagen: Diese blöde Show geht uns auf den Geist, wir wollen wieder Sport pur. Aber momentan ist die Entwicklung genau andersrum. Man versucht aus dem Fußball jede Mark rauszukitzeln. Das ist genau das, was Uli Hoeneß meint.

Die meisten Spieler helfen bei der Vermarktung des Fußballs bereitwillig mit. Es heißt, man müsse sich schließlich in wenigen Jahren finanziell absichern.

Das Argument, daß ein Fußballer mit 35 ausgesorgt haben muß, zieht überhaupt nicht. Ich gehe davon aus, daß ich 75 bis 80 Jahre alt werde und nach dem Fußball noch genug Zeit habe, zu arbeiten. Was ist denn so schlimm daran, mit 35 weiterzuarbeiten? Das ist doch der normale Weg.

Schiedsrichter Heynemann wurde von Sat.1 schon bedrängt, die Halbzeitpause zu verkürzen, um eine Übertragung nicht zu gefährden. Sat.1 und RTL fordern Spielunterbrechungen, um noch mehr Werbung plazieren zu können.

Das ist katastrophal. Alles wird den Erfordernissen des Zeitgeistes angepaßt. Aber das geht irgendwann nach hinten los. Man kann nicht beliebig die Regeln ändern und das Spiel unterbrechen, nur damit mehr Werbeminuten verkauft werden können. Auch die Diskussion über die Verbreiterung der Tore ist ein Alptraum. Man kann sich das Spiel nicht beliebig zurechtbiegen.

Wer leidet unter der Entwicklung im Fußball?

Viele Entscheidungen werden ohne die Fans getroffen. Wie die Versitzplatzung der Stadien. Auf den Stehplätzen ist die beste Stimmung. Aber mit Sitzplätzen läßt sich viel mehr Geld verdienen, und das ist wahrscheinlich der Hauptgrund für die Entscheidung der FIFA, daß Sitzplätze abgebaut werden müssen.

Wird der Sport ein exklusiver Genuß für solvente Konsumenten?

Auf absehbare Zeit wird Fußball noch im Vollprogramm gezeigt. Aber Pay-TV wird kommen. Für jedes Spiel 20 oder 30 Mark zu bezahlen, fände ich nicht gut. Ich glaube nicht, daß die Sender sich das überhaupt erlauben können. Das würde einen Riesenaufschrei geben. Samstags muß man einfach Fußball gucken können, ohne Dekoder und ohne Geld dafür zu überweisen. Fußball im freien Angebot gehört zur medialen Grundversorgung.

Haben Sie noch Spaß am Profifußball?

Meistens gehe ich gerne zum Training. Aber früher habe ich fast nur für den Spaß gespielt und mir ein paar Mark dazuverdient. Heute muß ich viel erfolgsorientierter arbeiten, auch wenn ich mal keine Lust habe. Die Konkurrenz in den Teams wird immer größer. Die Unbefangenheit ist da natürlich weg. Dieses absolut Unbeschwerte, daß man einfach rausgeht auf den Bolzplatz, kickt und sich um nichts sonst Gedanken macht, ist längst vorbei. Es kommt kaum mehr vor, daß man auf dem Platz etwas ausprobieren kann und Spaß dabei hat.

Gibt es für Sie noch utopische Momente im Fußball?

Jedes Jahr befürchtet die Fußballbundesliga, daß die beiden großen Vereine auf Einkaufstour gehen und alles wegkaufen. Dann sagen alle: Jetzt haben die kleinen Vereine gar keine Chance mehr. Aber letztendlich zeigt sich doch, daß auch die Großen im Lauf der Saison Probleme haben. Weil da zuviel geschnattert wird, zuviel Unruhe im Verein ist. Und plötzlich gewinnen die auch nicht mehr. Das ist dann das Schöne am Fußball, wenn St. Pauli auch mal gegen Bayern München gewinnt. Interview: Rainer Schäfer

und Karl Schaaf