General Sani Abachas gesammeltes Schweigen

Nigerias Militärregierung läßt bald fünf legalisierte Parteien zu „Wahlen“ antreten. Aber über seine eigenen Ambitionen schweigt sich Staatschef Abacha aus. Und wachsende Unsicherheit macht Nigerias Zukunft ungewiß  ■ Von Bright Johnson

Von offizieller Seite gesehen, ist Nigeria heute auf dem besten Weg zur Demokratie. Es gibt fünf legalisierte politische Parteien, und demnächst soll der anderthalbjährige „Übergangsprozeß“ zur Wiederherstellung einer parlamentarischen Regierungsform beginnen. Die nigerianische Wahlkommission „Necon“ hat unlängst erste detaillierte Anweisungen gegeben, wie die angestrebten Wahlen auf kommunaler, provinzieller und nationaler Ebene durchgeführt werden sollen. Laut Necon-Chef Jack Dagogo wird am 10. Februar eine neuntägige Periode der Registrierung aller Wahlberechtigten beginnen. Zwei Tage nach Abschluß der Wählerregistrierung am 21. Februar werden die einzelnen Bestimmungen für die für den 15. März vorgesehenen Kommunalwahlen veröffentlicht. Vor den Wahlen sollen die fünf legalen Parteien Kongresse abhalten; das Wahlregister wird am 26. Februar veröffentlicht.

Jack Dagogo machte viel Aufhebens darum, daß es in Nigeria dann 774 kommunale Verwaltungseinheiten geben werde mit 8.870 Wahlbezirken und 101.151 Wahllokalen. Die stolzen Zahlen sollten wohl verbergen, daß das nigerianische Wahlgesetz in seinem sechsten Abschnitt das ganze Wahlprozedere zur Farce macht: Sollte die Wahlkommission Necon eine Gefährdung von Recht und Ordnung feststellen, ist sie ermächtigt, die Wahl auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Ferner darf der Staatschef von Nigeria jeden gewählten Amtsträger wieder absetzen, der öffentliche Gelder veruntreut – ein ziemlich geläufiger Vorgang in Nigeria – oder seine vom Gesetz verlangte „apolitische“ Haltung kompromittiert.

Da stellt sich die Frage, wozu ein Mehrparteiensystem eigentlich da ist, zumal bereits seit Dezember 1995 ein „Transitional Implementation Committee“ (TIC) unter Leitung des pensionierten Richters Mamman Nasir zur Überwachung des politischen Prozesses existiert. Das Komitee darf jederzeit die Aktivitäten der Parteien durchleuchten und von allen politischen Gruppen und staatlichen Institutionen Informationen verlangen. Mit ähnlichen Bestimmungen schaffte es schon der 1993 abgetretene Militärherrscher Ibrahim Babangida, die zwei von ihm genehmigten Parteien zu kontrollieren und auf Linie zu halten.

Das Mehrparteiensystem des heutigen Staatschefs Sani Abacha, der sich im November 1993 an die Macht putschte, entstand im Oktober 1996, als die nigerianische Wahlkommission nach einem langwierigen Prozeß fünf politische Parteien legalisierte. Insgesamt hatten sich dreiundzwanzig Gruppen um die Registrierung beworben. Unter den fünf legalen politischen Formationen befindet sich nun keine einzige der nigerianischen Oppositionsgruppen.

Eine der neuen Parteien ist die „National Centre Party of Nigeria“ (Nationale Zentrumspartei – NCPN) unter Führung von Don Etiebet, einst Abachas Ölminister, und damit ganz offiziell regierungsnah. Eine andere ist die „United Nigerian Congress Party“ (Vereinigte Kongreßpartei – UNCP) unter Leitung von Ibrahim Gusan, der unter den vergangenen Militärdiktaturen Nigerias zu Reichtum aufstieg und bei den annullierten Präsidentschaftswahlen von 1993 einer der vehementesten Gegner des Wahlsiegers und heutigen politischen Häftlings Moshood Abiola war.

Ferner gibt es den „Congress for National Consensus“ (Kongreß für nationalen Konsens – CNC) unter Abel Ubeku, früherer Manager des Getränkekonzerns Guinness Nigeria. Er war auch ein Delegierter in der von der Opposition boykottierten Verfassungskonferenz, die Abacha 1995 zur Verlängerung seiner Amtszeit und zur Ausarbeitung des geltenden Übergangsplans einberufen hatte. Die beiden anderen Parteien sind die „Democratic Party of Nigeria“ (Demokratische Partei – DPN) und die „Grassroots Democratic Movement“ (Demokratische Basisbewegung – GDM), beide ebenfalls geleitet von ehemaligen Staatsfunktionären oder reichen privaten Partnern der Regierung.

Warum die Wahlkommission ausgerechnet diese fünf Gruppierungen zur Registrierung als Parteien auswählte, bleibt ihr Geheimnis. Für die anderen achtzehn Bewerber ist das aber kein Problem, denn sie können sich ja einfach den fünf legalen Parteien anschließen. Damit ist ein Hauen und Stechen um Macht und Einfluß zu erwarten, den das Abacha-Regime dann als Beweis für den politischen Pluralismus in Nigeria präsentieren kann.

Abacha hat sich darüber hinaus genügend Möglichkeiten bewahrt, den „Übergangsprozeß“ zu stoppen oder sich selbst an seine Spitze zu setzen. Zwar erreichte eine sogenannte „General Sani Abacha Movement for Peaceful Transition“ (Bewegung für friedlichen Übergang – GESAM) unter Leitung von Yomi Tokoya, ein enger Freund der nigerianischen Militärführung, im Oktober nicht die angestrebte Registrierung als politische Partei. Aber alle Anzeichen deuten darauf hin, daß Abacha dennoch erwägt, bei den für 1998 anvisierten Präsidentschaftswahlen selbst zu kandidieren und sich damit von einem militärischen zu einem zivilen Herrscher zu wandeln. Er würde damit sein Vorbild Jerry Rawlings in Ghana nachahmen, der vor fünfzehn Jahren per Militärputsch an die Macht kam und mittlerweile zweimal demokratisch als ziviler Präsident gewählt worden ist. Die First Lady von Nigeria, Frau Mariam Abacha, sagte kürzlich der regierungsnahen Zeitung Daily Times, es sei kein Problem, wenn ihr Mann aus dem Militär ausscheiden und dann zu einer Wahl antreten würde.

Ferner wurde jüngst in der nigerianischen Hauptstadt Abuja eine „Sani Abacha Foundation for Peace und Unity“ (Stiftung für Frieden und Einheit) ins Leben gerufen. Ziel der Stiftung ist nach eigenen Angaben die Unterstützung Sani Abachas Wunsch, seine gesammelten Erfahrungen bei der Führung des Landes auch in Zukunft mit dem nigerianischen Volk zu teilen – ein unverblümter Hinweis auf präsidiale Ambitionen des Juntachefs. Die Stiftungsleiter finden daran nichts Anstößiges und verweisen auf Stiftungen der Expräsidenten Jimmy Carter und George Bush in den USA. Aber diese Organisationen wurden erst gegründet, als ihre Namensgeber von der politischen Bildfläche verschwanden, während Abacha ja der Staatschef von Nigeria ist. Nie zuvor hat in Nigeria ein Staatschef eine solche Organisation gegründet. Offiziell ist die Stiftung von der Regierung unabhängig, und die Regierung hat zur Stiftungsgründung keine Stellungnahme abgegeben – aber gerade dieses Schweigen hat viele Nigerianer skeptisch gemacht.

Die Militärregierung versucht noch auf anderem Wege, ihr Herrschaftssystem auszubauen. Sechs neue Bundesstaaten sind gegründet worden, womit deren Zahl auf sechsunddreißig steigt – bei der Unabhängigkeit Nigerias 1960 bestand das Land noch aus drei Bundesstaaten. Mit jedem neuen Staat steigt die Anzahl der von Wohlwollen und Geld der Zentralregierung abhängigen öffentlichen Posten. Außerdem hat die Regierung traditionelle Stammesinstitutionen offiziell in die staatlichen Strukturen eingebunden, indem traditionelle Chefs jetzt Mitglieder eines nationalen „Sicherheitsrates“ werden können. In einigen Bundesstaaten sind mit Duldung und sogar Ermunterung von offizieller Seite private Milizen gegründet worden, die gegen „Verbrecher“ vorgehen sollen.

Die von der Regierung inzwischen zur nationalen Priorität erklärte Verbrechensbekämpfung stellt ohnehin den gesamten Wahlprozeß in Frage, da ja das Wahlgesetz die Annullierung von Wahlen bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorsieht. Eine Reihe von mysteriösen Gewaltverbrechen und Bombenanschlägen erschüttert derzeit Nigeria. Im vergangenen Jahr wurde Kudirat Abiola, die Ehefrau des inhaftierten Wahlsiegers von 1993, Moshood Abiola, in Lagos von Unbekannten erschossen. Ebenfalls in Lagos starb bei einem Anschlag unbekannter Täter die bekannte Unternehmerin Bisoye Tejuoso. Regimegegner machen die Regierung selbst für diese Morde verantwortlich. Polizeichef Ibrahim Coomasie erklärte kürzlich, es gebe keinerlei Fortschritte bei der Aufklärung der Anschläge.

Ungeklärt bleibt auch die Explosion, die vergangenes Jahr das Firmenhauptquartier der staatlichen Rüstungsfirma „Defence Industries Corporation of Nigeria“ zerstörte. Offizielle Stellen bezeichneten das als „Akt des Terrorismus“. Ungeklärt ist auch die Ursache des Absturzes einer nigerianischen Passagiermaschine im November bei einem Inlandsflug von Port Harcourt nach Lagos, bei dem der Regimekritiker Claude Ake ums Leben kam. Und im Dezember starben neun Offiziere bei einem Bombenanschlag auf ein Militärgebäude in Lagos.

Inzwischen hat die Regierung eine massive Säuberung der Polizei von „korrupten Elementen“ vorgenommen. Polizei und Armee patrouillieren jetzt gemeinsam und dürfen Passanten anhalten und durchsuchen. Dies wird angesichts der beispiellosen Kriminalität in Nigeria von vielen Bürgern begrüßt, verstärkt aber andererseits die Militarisierung der Gesellschaft.