Flaschenwerfer und Provokateure

Heute beginnt ein Prozeß gegen einen Skinhead, der einen polnischen Jugendlichen verletzt haben soll. Hamburgs rechte Szene ist im Wandel, die Ziele aber bleiben  ■ Von Marco Carini

Mit Knüppeln und Schreckschußpistolen bewaffnet verschaffen sie sich gewaltsam Eintritt in das zuvor eilig verbarrikadierte Jugendzentrum. Scheiben gehen zu Bruch, es kommt zum Handgemenge. Einer der angetrunkenen Angreifer schleudert eine Bierflasche. Der siebzehnjährige Pole Adam K. bricht zusammen. Blut tritt aus einer klaffenden Schnittwunde, das Jochbein ist zertrümmert – Ende eines Skinhead-Überfalls am 26. Juni 1996 auf das Jugendzentrum (JUZ) in Tostedt.

Gegen den mutmaßlichen Flaschenwerfer, den ortsbekannten Neonazi Christian H. (24), wird seit heute vor dem Amtsgericht der Kleinstadt in der Nordheide verhandelt. Die Anklage lautet auf schwere Körperverletzung.

Der Überfall im Sommer vorigen Jahres ist der Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Ultrarechten und autonomen AntifaschistInnen, der die 12.000-Seelen-Gemeinde seit Jahren erschüttert. Er markiert auch das Scheitern des Versuchs, neofaschistische Ideologien mit Hilfe teurer Freizeitangebote zumindest einzudämmen.

In den hauptsächlich von Skinheads besuchten Jugendtreffs „Baracke“ im nahen Handeloh und „Reso-Fabrik“ in Winsen/Luhe übt sich der Streetworker Bernd Rutkowski seit 1995 in Schadensbegrenzung. Um überhaupt Einfluß auf die Besucher nehmen zu können, versucht der 46jährige sie so wenig wie möglich ideologisch zu gängeln: „Unser Auftrag ist es nicht, politisch extrem denkende Menschen von ihrer Weltanschauung abzubringen.“

Längst hat sich der Pädagoge – so sehen es zumindest viele Nachbarn der beiden Zentren – zum distanzlosen Kumpanen seiner Schützlinge gemacht. Wann immer es zum Konflikt kommt, stellt er sich schützend vor die ultrarechten Jugendlichen, bagatellisiert ihre Gewalttaten oder weist die Schuld an den bewaffneten Auseinandersetzungen den Linken, der Tostedter Antifa, zu. Die würde „bewußt und gezielt eine gewalttätige Eskalation heraufbeschwören“. Eine Argumentation, die auch den gewalttätigen Skins als Rechtfertigung dient. In einer „öffentlichen Entschuldigung“ stellten sie den Angriff auf das Jugendzentrum als „Reaktion auf die Provokationen der linksextremen Besucher“ des JUZ dar.

Bleibt es in Tostedt monatelang ruhig, sieht Rutkowski das als Bestätigung seiner Arbeit. Schlagen die Skinheads wieder mal zu, empfindet der umstrittene Pädagoge seine Arbeit „notwendiger denn je“. Mit diesem argumentativen Spagat gelang es ihm im vergangenen Herbst – aller Kritik zum Trotz –, den Fortbestand der umstrittenen „Baracke“ erneut abzusichern.

Auch die Tostedter Antifa ist nicht grundsätzlich gegen die pädagogische Betreuung rechtslastiger Jugendlicher. „Es ist sinnvoll, mit nicht gefestigten Jugendlichen mit rechtem Weltbild zu arbeiten“, räumt einer der aktiven Antifaschisten ein. Die Ideologien aktiver Nazi-Kader aber ließen sich nicht „durch Freizeitangebote wegtherapieren“. Und da führende Neonazis wie Sacha Bothe und Sebastian Stöber, Mitglieder der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN), nicht ausgegrenzt würden, nutzten sie die „Baracke“ dazu, „immer mehr Jugendliche zu rekrutieren“.

Auch Rutkowski räumt ein, daß sich unter den Besuchern der Baracke mindestens „drei junge Leute befinden, die Mitglieder der NPD sind“, und die versuchten, durch „rechtslastige Indoktrination“ auf die „übrigen Besucher“ gezielt Einfluß zu nehmen. Die Nachwuchsförderung hat offenbar Erfolg: Den Tostedtern sind eine ganze Reihe Jugendlicher namentlich bekannt, die von den rechtsradikalen Hardlinern eingespannt wurden.

So wie wohl auch Jan B., eine Randfigur der rechten Szene im nahen Buchholz. Bevor der stadtbekannte JN-Kader Christian H. als mutmaßlicher Flaschenwerfer ermittelt wurde, hatte sich der 17jährige bereits der Polizei gestellt. Die Selbstbezichtigung des bis dato unbescholtenen Minderjährigen aber widersprach den zahlreichen Zeugenaussagen. Die Polizei geht deshalb davon aus, daß Jan B. den wirklichen Täter nur „decken“ wollte – oder sollte?