Geld, Liebe und ein Billardspiel

■ Der Tod schreckt niemanden mehr: „Marble Ass“, ein Film des Belgrader Regisseurs Zelimir Zilnik, im Babylon Mitte

Der titelgebende Marmorarsch gehört Merlin, einem Transvestiten, der auf dem Belgrader Straßenstrich seinen Lebensunterhalt verdient. Wenn sie Schwierigkeiten bekommt, wenn einer ihrer Kunden, vielleicht ein gerade von der Front zurückgekehrter Soldat, eine jener vielen Waffen zieht, die der Krieg ins Land gebracht hat, dann, so erzählt Merlin, „sage ich den Leuten, mein Leben ist keine zehn Jahre Knast wert“.

Vor gar nicht so langer Zeit, aber in einer gänzlich anderen Welt, war Zelimir Zilnik einmal ein international renommierter Regisseur. 1969 gewann er mit seinem ersten Spielfilm, „Frühe Werke“, den Hauptpreis der Berlinale. Die ideologiekritische, metaphernüberladene Farce beendete seine Karriere in Jugoslawien abrupt.

Zu Beginn der siebziger Jahre lebte er in der Bundesrepublik und drehte hier einige seiner Dokumentarfilme. 1989 war Zilnik einer der Mitbegründer des Belgrader Radios B92, immer noch eines der wenigen oppositionellen Medien in Serbien, das neben seinem Radioprogramm auch Bücher und Platten produziert. Und Filme, von denen einige in den nächsten Tagen im Kino Babylon Mitte zu sehen sein werden. Darunter auch „Marble Ass“, den Zilnik quasi ohne Geld in seinem eigenen Haus auf Video filmte und der vom deutschen Verleih auf 16 mm umkopiert wurde.

Ob in der Musik oder in der Literatur, das beherrschende Thema der Kunst in den Ländern, die aus dem ehemaligen Jugoslawien entstanden sind, ist nicht der Krieg, sondern sind die Deformationen, die dieser an den Menschen angerichtet hat, ob sie nun selbst an der Front waren oder nicht.

So ist keiner der Protagonisten in „Marble Ass“ unberührt von den dramatischen gesellschaftlichen Veränderungen, sind die allgegenwärtigen Waffen nur äußeres Zeichen für innere Verrohung. Jeder und jede hat längst den Traum aufgegeben, das Leben zu einem glücklichen Ende zu bringen, alle halten sich fest an den kleinen, kurzen Glücksmomenten, sei es nun Geld, die Liebe, der Suff oder lediglich ein Billardspiel. Und am Schluß stehen doch immer wieder nur menschliche Katastrophen. Nur der Tod schreckt niemanden mehr.

Inszeniert hat Zilnik das überraschend wenig holprig, auch wenn man aufgrund der Produktionsbedingungen natürlich Abstriche an der technischen Qualität machen muß. Einzig Kriegsheimkehrer Johnny wirkt manchmal etwas deplaziert, wenn er sich Billardkugeln in den Mund steckt oder sich Metalltabletts vor die Stirn donnert. Da droht „Marble Ass“ ins Laienhafte abzurutschen, ohne jedoch dabei den Charme eines der Filme von Lothar Lambert entwikkeln zu können.

Merlin freut sich wie ein kleines Mädchen über die Ziegen, die Johnny anschließend abknallt. Manchmal, in extremen Situationen, ist das Leben wahrscheinlich wirklich so einfach gestrickt. Thomas Winkler

„Marble Ass“. Jugoslawien 1994, 87 Min., OmU. Am 30. und 31.1., 19 Uhr, am 3.2., 21 Uhr, im Babylon Mitte, am 1., 2. und 3.2., 19 Uhr, im Xenon