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Kurt Scheels LichtspieleUnd ewig lockt das Weib

■ Chronik einer „éducation sentimentale“: Erste und letzte Kinoverliebtheiten

Für jeden Knaben schlägt die Stunde, da verlieren die kindlichen, unschuldigen Spiele mit den Kumpanen an Reiz, da entdeckt er – das Geschlecht, häufig genug das andere. Für mich war es soweit in „The Black Swan“, einem wunderbaren Piratenfilm mit Tyrone Power und Maureen O'Hara, den ich Mitte der fünfziger Jahre sah.

Bis dato hatten wir Sieben- bis Achtjährigen ein eher ironisch- distanziertes Verhältnis zum Weibe gepflogen, im Leben wie im Kino. Mädchen waren okay, aber sie waren so anders, und man hatte mit Frau eigentlich nicht viel zu schaffen. Außerdem machten sie hauptsächlich Schwierigkeiten, in den Fuzzy- Filmen wurden sie in der Regel vom Bösewicht entführt und als Schutzschild mißbraucht: Der Held muß dann seine Revolver rausrücken, und es gibt ein großes unnötiges Durcheinander. Auch fielen sie gerne in Ohnmacht, und Kußszenen sahen wir prinzipiell als langweiliges retardierendes Moment an.

Und nun also Maureen O'Hara, deren Namen ich damals zwar nicht kannte, die mir aber schon dadurch aufgefallen war, daß sie in manchen Filmen am Ende John Wayne zufiel – und was gut genug ist für John Wayne, würde ja auch gut genug für mich sein! Außerdem war sie, im Lichte betrachtet, doch recht hübsch und rothaarig und kratzbürstig – ich habe schon damals starke, emanzipierte Frauen den Heulsusen und Petzen vorgezogen! [Und wie ist es heute? – der säzzer] Und wenn sie am Schluß von „The Black Swan“, wie von Tyrone Power prophezeit, dreimal zärtlich „Jamie-boy“ zu ihm sagen muß, bevor sie ihn küssen darf – das hatte was, da spürte ich plötzlich ein angenehmenes Kribbeln, und die höhnischen „Halbzeit“-Rufe meiner Kumpane kamen mir deplaziert vor – aber das waren ja auch noch richtige Kinder.

Daß die O'Hara eigentlich zu alt für mich war, wurde mir bewußt, als ich 1955 Angelika Meissner in „Die Mädels vom Immenhof“ sah. Gott, war das eine süße Dick (Dalli war Heidi Brühl, auch nicht schlecht, aber doch zu knabenhaft und burschikos: wenn schon Frauen, dann richtige!) mit ihren dunklen Augen und den engen Reithosen. Und wie sie den doofen Ethelbert – ein typischer arroganter Städter, den wir Dorfkinder schon lange auf dem Kieker hatten – zurechtrückte: Spitze! (Daß Ethelbert einen guten Kern hat und eigentlich nur straffer weiblicher Führung bedarf, war mir schon klar, als er auf die Frage, ob er oft ins Kino gehe, weltmännisch antwortete: „Aber ja, das gehört doch heute zur geistigen Bildung jedes Mitteleuropäers.“)

Jetzt war der Damm gebrochen, und es ging Schlag auf Schlag weiter – ich war zu jener Zeit einigermaßen promiskuitiv: 1956 Marion Michael als „Liane, das Mädchen aus dem Urwald“ – diese wunderbaren blonden Haare, hinter denen sie ein süßes Gesicht verbarg, dessen Vorschein (E. Bloch) wir manchmal zu erspähen glaubten und das wir zwei Jahre später mit interesselosem Wohlgefallen betrachteten, wenn Debra Pagets Tempeltänzerinnen-Harnisch sich in „Der Tiger von Eschnapur“ so merkwürdig reizend verschiebt, daß sogar die böse Kobra ganz fickrig wird und sie dorthin beißen will, aber Walther Reyer, der Maharadscha, rettet sie und uns in letzter Sekunde.

Ich war jetzt zehn, und nichts Menschliches war mir fremd, ob Scarlett O'Hara oder Audrey Hepburn, ob Johanna von Koczian in „Wir Wunderkinder“, die als schnucklige Dänin so betörend „Fiske-Händler“ lispeln darf, ob Ingrid Andrée, von der ich keinen Film mehr weiß, die ich aber auch deswegen ins Visier genommen hatte, da sie mit dem netten, aber doch eher mickrigen Hanns Lothar verheiratet war, und bei solch einem schwachen Gegner rechnete ich mir für die Zukunft durchaus Chancen aus.

Damit war meine „éducation sentimentale“ im Prinzip abgeschlossen – 1962, anläßlich der „Meuterei auf der Bounty“, gab es noch einmal gewisse Irritationen, als ich mich nicht so recht zwischen Marlon Brando und der zauberhaften Tarita entscheiden konnte: Jugendsünden!

Meine letzte Kinoverliebtheit habe ich 1980 erlebt, in Woody Allens „Manhattan“. Eigentlich ist Mariel Hemingway ja gar nicht schön, aber diese ruhige Entschlossenheit, diese Ernsthaftigkeit ihrer Liebe zu Allen, der herumzappelt und schlaubergerisch daherredet, wie Mittvierziger das eben tun, ist herzergreifend und fast nicht von dieser Welt – und deshalb gehen wir ja ins Kino. Mit der großen Filmkritikerin Pauline Kael zu sprechen: „I lost it at the movies.“ Kurt Scheel

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