Niemand will mitgemauschelt haben

In der Affäre um die CDU-Abgeordnete Vera Lengsfeld geben sich die Beteiligten unschuldig. Jetzt will die Staatsanwaltschaft den Verdacht der Veruntreuung von Staatsgeldern überprüfen  ■ Von Jan Feddersen

Berlin (taz) – Für Joachim Hörster, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, steht bereits jetzt fest: Es besteht kein „Anlaß für Zweifel am ordnungsgemäßen Verhalten von Frau Lengsfeld.“ Damit reagierte er vielleicht etwas voreilig auf einen erst heute erscheinenden Artikel des Sterns und Recherchen der taz sowie der Thüringischen Landeszeitung.

Vorgeworfen wird der von den Grünen zur CDU konvertierten Parlamentarierin, ihre aus Bundesmitteln bezahlte Mitarbeiterin Heidemarie Freyberg vorwiegend als Haushälterin – Putzen, Kinderhüten etc. – beschäftigt zu haben.

Mitte 1993 heuerte Lengsfeld ihre Parteifreundin Freyberg an. Gut 3.000 Mark betrug deren von der Bundestagsverwaltung bezahltes Gehalt. Für diesen Job mit 28,8 Stunden pro Woche sind ausschließlich Arbeiten erlaubt, die unmittelbar mit politischer Unterstützung im Wahlkreis der Abgeordneten zu tun haben. Weitere 470 Mark aus eigener Tasche zahlte die prominente DDR-Bürgerrechtlerin, um wöchentlich zehn Stunden von Kinder- und Hausbetreuung entlastet zu werden.

Freyberg berichtete schon kurze Zeit nach ihrer Anstellung in der Bundestagsfraktion, daß sie mitnichten vorwiegend politische Zuarbeit leiste. Im Gegenteil: Sie helfe ihrer Arbeitgeberin überwiegend privat. Keiner ihrer Zuhörer wollte realisieren, daß damit schon ein Betrugsdelikt vorgelegen hätte.

Doch offenbar konnte weder der Betriebsrat den Konflikt klären, noch war es den Thüringer Grünen vergönnt, Lengsfeld dazu zu bewegen, endlich ein Wahlkreisbüro einzurichten. „Damit hätten wir auch im nördlichen Teil unseres Bundeslandes präsent sein können“, so Olaf Möller, Sprecher der Grünen in Thüringen. Aber die Abgeordnete verweigerte jede Diskussion darüber – weil es dann unmöglich gewesen wäre, Heidemarie Freyberg weiterhin als Haushälterin und Kinderbetreuerin zu beschäftigen.

Vor zweieinhalb Jahren verlangte Freyberg, daß Lengsfeld ihre geschätzten 1.800 Überstunden vergüten solle. Die Abgeordnete hatte von ihrer Angestellten verlangt, während ihrer Bonner Sitzungswochen rund um die Uhr im Haus zu bleiben. Lengsfeld lehnte es mit dem Hinweis, daß aus Bundesmitteln für parlamentarische Mitarbeiter keine Überstunden entgolten werden dürfen, jede Extrazahlung ab. Als Freyberg schließlich im Dezember 1993 krank wurde, wurde ihr gekündigt.

Die Geschaßte fühlte sich düpiert und drohte mit einem Prozeß vor dem Arbeitsgericht. Ein Vermittlungsversuch durch den grünen Fraktionsbetriebsrat und den Fraktionsgeschäftsführer Lukas Beckmann endete mit einem Vergleich – und der Auflage für beide Seiten, striktes Stillschweigen über den Fall zu wahren. Freyberg hat sich bis heute daran gehalten. Sie sagt nur: „Ich bin tief enttäuscht.“

Ihr Lebensgefährte Bernd Langhammer bestätigte auch gestern alle Vorwürfe: Die Grünen- Fraktion in Bonn wußte sehr wohl um die Brisanz des Mißbrauchs der Bundesmittel. Denn ihm sei bedeutet worden, nichts darüber verlauten zu lassen, um den guten Ruf der Partei nicht zu beschädigen. Langhammer wurde gestern zum Objekt eines offenen Briefes von Angelika Barbe, Lilo Fuchs, Katja Havemann und Hildigund Neubert an die Grünen-Bundestagsfraktion. Nachdem sie „mit Betroffenheit“ von einer „politischen Intrige“ sprechen, die zum Ziel habe, Vera Lengsfeld zu diskreditieren, kanzeln sie das Landesvorstandsmitglied von Thüringens Grünen als „Kronzeugen“ ab und machen es unglaubwürdig, indem sie auf seine einstige Tätigkeit als NVA- Offizier hinweisen. Langhammer dazu: „In Thüringen weiß jeder, daß ich früher bei der NVA war. Jetzt wird versucht, so zu tun, als sei ich es noch immer.“

Aus der Bundestagsfraktion der Grünen hieß es im Namen von Lukas Beckmann und dem Fraktionsbetriebsratschef Jürgen Roth nur matt: „Beweise für eine Zweckentfremdung öffentlicher Mittel lagen uns nicht vor.“ Und: „Wir verurteilen die Kampagne“ gegen Vera Lengsfeld „nachdrücklich“.

Dieter Wiefelspütz von der SPD, Vorsitzender des Immunitätsausschusses im Bundestag, teilte der taz nur mit: „Erst wenn die Staatsanwaltschaft ermittelt, werden wir uns des Falles annehmen.“