Wie Irans Geheimdienst die Regie führt

■ Das Verschwinden und Wiederauftauchen Sarkuhis war inszeniert

Am 3. November vergangenen Jahres wollte der iranische Literaturkritiker und Herausgeber der Literaturzeitschrift Adineh, Faradsch Sarkuhi (49), nach Deutschland fliegen – so hatte er seiner Frau Farideh Zebardschad (41) zuvor telefonisch angekündigt. Die Frauenrechtlerin lebt seit über einem Jahr mit ihrem Sohn Aresch (14) und Tochter Bahar (12) in Berlin, als anerkannter politischer Flüchtling. Doch Freunde, die ihn am Flughafen abholen wollten, warteten vergeblich.

Über eineinhalb Monate fehlte von dem Regimekritiker jede Spur. Freunde, Verwandte, Menschenrechtler, deutsche Politiker und Journalisten wähnten ihn in den Händen des iranischen Geheimdienstes – doch am 20. Dezember tauchte der Vermißte wieder auf, bei einer Pressekonferenz an eben jenem Ort seines Verschwindens: dem Teheraner Flughafen. Er habe die zurückliegenden 47 Tage in Deutschland verbracht, erklärte der etwas abgemagerte und blasse Sarkuhi umringt von iranischen Geheimdienstlern. Dort habe er die Rückkehr seiner Kinder in den Iran organisieren wollen. Der Grund – auch dafür, daß er seine Familie nicht kontaktiert habe – seien Eheprobleme.

Alles Lüge!, hielt seine Frau dagegen. Sarkuhis Rückkehr sei vom Geheimdienst inszeniert. Ihr Mann sei noch immer in Lebensgefahr. Der Geheimdienst könne ihn jederzeit verhaften, verschwinden lassen, einen Unfall inszenieren oder einen Selbstmord.

Seit Montag ist der Literaturkritiker wieder verschwunden. Nach Angaben seiner Familie wurde er wieder verhaftet – diesmal gemeinsam mit seinem Bruder.

Der hier dokumentierte Brief, den Sarkuhi kurz zuvor aus dem Iran schmuggeln konnte, belegt: Der iranische Geheimdienst hat Sarkuhi schrittweise zermürbt. Sein Verschwinden, Auftauchen und Wiederverschwinden sind der Höhepunkt eines systematischen Zersetzungsprozesses.

So traf sich Sarkuhi gemeinsam mit fünf Kollegen am 25. Juli vergangenen Jahres in der Wohnung des Kulturreferenten der deutschen Botschaft in Teheran, Jens Gust. Geheimdienstler stürmten die Runde, sperrten Gust in ein Zimmer und filmten die Schriftsteller mit Akten, die sie aus Gusts Regalen zogen – alles sollte so ausssehen, als habe der Geheimdienst einen Spionagezirkel geprengt. Sarkuhi machte bei seiner Verhaftung erstmals Bekanntschaft mit einem Herrn Haschemi. Dieser ist beim Geheimdienst für kritische Literaten zuständig.

Das nächste Mal traf Sarkuhi Haschemi in der Nacht zum 5. August. Der Literaturkritiker saß gemeinsam mit etwa zwanzig iranischen Schriftstellern in einem Bus nach Armenien. Die Literaten – darunter viele Unterzeichner der „Erklärung der 134“, eines Aufrufs zur Gründung eines unabhängigen iranischen Schriftstellerverbandes – waren zu einem Kongreß in dem Nachbarland eingeladen worden. Morgens um fünf, irgendwo in den nordiranischen Bergen, hielt der Fahrer plötzlich, öffnete die Tür und sprang heraus. In letzter Minute zog einer der Literaten die Handbremse, sonst wäre der Bus in eine Schlucht gestürzt. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich Haschemi auf und versprach, für die sichere Rückreise der Schriftsteller nach Teheran zu sorgen.

Am 8. September dann löste der Geheimdienst ein Treffen bei dem Schriftsteller Mansur Kuschan auf. 13 Literaten wurden verhaftet. Am 3. November traf Sarkuhi dann erneut auf Haschemi. Der wollte angeblich am Teheraner Flughafen für Sarkuhis sichere Ausreise sorgen – mit den bekannten Folgen. Thomas Dreger