„Ich habe sie angefleht, mich zu töten“

■ Der iranische Schriftsteller Faradsch Sarkuhi schildert, wie der iranische Geheimdienst ihn verschleppte und zu der Falschaussage zwang, er sei in Deutschland gewesen. Er und sein Bruder sind seit Montag erneut verschwunden

Wir hatten eines deiner Kinder, nun haben wir zwei!“ Diesen Satz hörte die Mutter des iranischen Schriftstellers Faradsch Sarkuhi am Montag aus dem Telefon. Für die Familie des vom Regime bedrohten Chefredakteurs der Zeitschrift Adineh besteht kein Zweifel, wer hinter dem Anruf steckt: der iranische Geheimdienst. Sarkuhi und sein Bruder werden seit Montag vermißt. Zuletzt gesehen wurden sie in Teheran. Ihr Verschwinden bestätigen das PEN American Center und die Organisation „Reporters sans Frontières“. Faradsch Sarkuhi war bereits am 3. November voriges Jahres vom iranischen Geheimdienst verschleppt worden. Bei dem Versuch, seine in Deutschland lebende Frau und Kinder zu besuchen, lief er in eine Falle. 47 Tage hielten ihn die Agenten fest, um ihn anschließend auf einer Pressekonferenz auf dem Teheraner Flughafen wiederauftauchen zu lassen, als sei nichts geschehen. Über das, was ihm in der Zeit tatsächlich zugestoßen war, verfaßte Sarkuhi einen Brief, den er jetzt kurz vor seinem erneuten Verschwinden aus dem Iran schmuggeln konnte. Über seinen damaligen Kontakt zu den iranischen Geheimdienstlern, die ihn festhielten, schreibt er: „Ich habe sie angefleht, mich zu töten.“ Die taz dokumentiert Sarkuhis Schreiben auf den zwei folgenden Seiten.

Der Brief enthält die detaillierte Beschreibung eines systematischen Zersetzungsversuchs des iranischen Geheimdienstes. Sarkuhi sollte durch Attentatsversuche und Folter gezwungen werden, mit den geheimen Kräften der Islamischen Republik zusammenzuarbeiten. Dabei ging es dem Geheimdienst offenbar darum, eine Kampagne gegen den Mykonos-Prozeß in Gang zu setzen. In dem Verfahren sind mehrere Iraner angeklagt, in Berlin vier kurdische Exilpolitiker ermordet zu haben. Er sei „einem Plan zum Opfer gefallen, den das iranische Informationsministerium ausgeheckt und durchgeführt hat. Die nächsten Schritte kenne ich nicht“, schreibt Sarkuhi. Seine Familie fürchtet nun um sein Leben. Sarkuhis im Iran lebende Mutter mußte am Dienstag vorübergehend mit Herzproblemen in ein Krankenhaus eingeliefert werden.

Ein neues Licht wirft Sarkuhis Brief auch auf seine angebliche Deutschlandreise. Nach seiner „Rückkehr“ am 20.Dezember hatte er auf dem Flughafen Teheran vor Journalisten und von Geheimdienstlern umringt behauptet, er sei die zurückliegenden 47 Tage vor allem in Deutschland gewesen. Auf Nachfrage erklärte er, einen Reisepaß mit entsprechendem Einreisestempel könne er nicht vorweisen. Das Dokument habe ein Freund im Nachbarland Turkmenistan – einer angeblichen Zwischenstation auf Sarkuhis Rückreise – behalten, um für ihn ein kanadisches Visum zu beantragen. Laut Sarkuhis Brief ist dagegen ein anderer Iraner im Auftrag des iranischen Geheimdienstes mit seinem Paß nach Hamburg geflogen, um so nachträglich die Reise des Schriftstellers „beweisen“ zu können. Tatsächlich wurde der Schriftsteller in einem iranischen Gefängnis drangsaliert.

Nach Informationen der taz liegt dem Auswärtigen Amt in Bonn derzeit eine von iranischer Seite präsentierte Kopie von Teilen von Sarkuhis Paß vor. Darauf soll ein deutsches Visum mit Ein- und Ausreisestempel zu erkennen sein. Die Echtheit des Dokuments wird derzeit geprüft. Bisher hatte das Bonner Außenministerium erklärt, nach seinen Erkenntnissen sei Sarkuhi nicht nach Deutschland geflogen. Andernfalls wäre er vom Bundesgrenzschutz registriert worden, seine Einreise per Computer nachweisbar. Eine Stellungnahme des Bonner Außenministeriums war gestern nicht zu bekommen.

Sarkuhi gehört zu jenen iranischen Schriftstellern, die 1994 die „Erklärung der 134“ veröffentlichten. In dem aufsehenerregenden Appell forderten die Literaten die Gründung eines unabhängigen Schriftstellerverbandes. Seither wurden zahlreiche der Unterzeichner drangsaliert, vorübergehend verhaftet und bedroht.

Thomas Dreger