Ein Papiertiger reformiert Hamburgs Universität

■ Hochrangige Expertenkommission präsentiert Empfehlungen zur Hochschulreform

Die Hamburger Universität „muß vorrangig und mit besonderen Anstrengungen die Forschung stärken“. Sie soll sich „von der ständigen Überlast der Lehre befreien“ und möglichst kurzfristig bis zu zwanzig Prozent weniger Erstsemester zulassen. So lauten nur einige Empfehlungen, die eine externe Gutachterkommission nach intensiver dreizehnmonatiger Arbeit in einem Bericht zusammenfaßte. Gestern nun lieferte die von Hamburgs Unichef Jürgen Lüthje im Dezember 1995 eingesetzte hochrangige ProfessorInnenkommission diesen Bericht ab: ein 220seitiges Paket radikaler Reformempfehlungen für die künftige Entwicklung der Hamburger Uni.

So soll etwa die bislang freie Wahl von Nebenfächern drastisch eingeschränkt werden. Die Vielzahl der Fachbereiche soll zwar erhalten bleiben – innerhalb dieser Fächer jedoch ist radikales Umsteuern angesagt. Lüthje, der die Kommission gegen heftige Widerstände innerhalb der Uni durchgeboxt hatte, frohlockte gestern, daß nun „schmerzhafte Veränderungen“ auf die Uni zukämen. Kommissionschef Karl Grotemeyer formulierte seine Erwartungen dagegen ein wenig vorsichtiger. Er hoffte, „daß die Universität die Kraft hat, sich mit den Empfehlungen auseinanderzusetzen“.

Tatsächlich kann Lüthje, der sich mit der Einsetzung der Professorencombo vor allem Argumentationshilfe gegen den Senat und den eigenen Universitätsapparat erhofft hatte, mit den Ergebnissen zufrieden sein. Dem Senat wird überzogenes Sparen nachgewiesen. Aber auch die Uni bekam eins aufs Dach. Grotemeyer: „Die Hamburger Universität, in den sechziger Jahren noch ein Vorbild, bewegt sich heute im unteren Viertel der deutschen Universitäten.“ Ein Forschungsprofil sei kaum noch vorhanden, die Ausbildungsqualität allenfalls in den Anfangssemestern noch ausreichend. Der wissenschaftliche Nachwuchs habe kaum noch eine Chance.

Mit liebevoller Bosheit nahm sich die Kommission dabei alle Institute und Fachbereiche zur Brust. Miserable Noten erhielten beispielsweise die Wirtschaftswissenschaften, denen es an wissenschaftlichem Profil mangele. Der Informatik fehle die klare Schwerpunktbildung, Philosophie und Sozialwissenschaften empfiehlt die Kommission „dringend“ eine Verbesserung der Forschungsarbeit. Den Sprachwissenschaften bescheinigt sie “eklatante Mängel in Assistentenstellen, Medien und Bibliotheken“. Und bei der Sportwissenschaft ist ihrer Ansicht nach absolut kein Forschungsprofil erkennbar.

Überraschend gut schlugen sich dagegen andere Fachbereiche. Die Orientalistik etwa ist nach Meinung der Experten “von beträchtlichem Gewicht. Vor weiterem Verzicht auf Professuren muß gewarnt werden.“ In der Chemie führe eine „qualifizierte Ausbildung zu bundesweit überdurchschnittlichen Berufschancen“. Und die Kulturgeschichte gefiel den Gutachtern so „außergewöhnlich gut“, daß sie dafür plädierten, das Fach auszubauen. Roter Faden der Beurteilung ist allein das Forschungsprofil. Die Kommission empfiehlt eine deutlich verkleinerte, auf ausgewählte Forschungsschwerpunkte konzentrierte Universität.

Unichef Jürgen Lüthje zeigte sich gestern vorsichtig optimistisch, daß sein Papiertiger auch beißt: „Die Vorschläge sind nicht bequem, aber außerordentlich hilfreich. Ich hoffe, daß nicht nur die Selbstverwaltung der Universität, sondern auch die Politik sie zur Kenntnis nimmt.“ Florian Marten