Loblied aufs Reförmchen

■ LehrerInnen informierten sich über Rechtschreibreform/Neuer „Kuss“ kein Drama

Das Wort Rechtschreibreform kam Wolfgang Menzel gestern nur schwer über die Lippen. Der Rektor der Hildesheimer Universität nahm dafür umso lieber die zehn Buchstaben „Reförmchen“ in den Mund. „Da ändert sich ja kaum was“, gab er sich gelassen. Fast 200 LehrerInnen folgten seinem Vortrag im Institut für Schulpraxis beim ersten „Fachtag zur Rechtschreibreform“ – um sich auf Geheiß der Bildungsbehörde vom neuen Schrift-Jahrtausend überzeugen zu lassen.

Dabei saßen die LehrerInnen recht gelassen im Zuhörersaal. Schließlich befinden sie sich noch bis zum 1. August 1989 in einer „offenen Duldungsphase“, die dann in die „Toleranzphase“ übergeht. Alte Wörter dürfen bis dahin ungestraft zwischen neuen Wörtern stehen. Startschuß zur Reform ist der 1. August 2005. Dann werden sämtliche Fehler in Diktaten, Aufsätzen und Arbeiten mit dem Rotstift geahndet.

Deutschlehrerin Elke Hughes fängt wie viele andere Kollegen schon mit ersten Lektionen an – und schreibt in ihrer 6. Klasse im Schulzentrum Ellener Feld das neue „ss“ zum alten „Kuß“ bereits an die Tafel. Sie ärgert sich nicht über die Reform: „Wir sind im fließenden Übergang und haben Zeit.“

Das sah Rektor Menzel gar nicht so. Immer wieder hieb er auf ausgemachte Reformgegner ein. „Lassen Sie sich nicht von Eltern oder Schriftstellern verrückt machen. Die regen sich nur auf, daß die Reform zu groß und völlig unsinnig ist“, appellierte er an die Runde. Die Reformkommission (“mit den schlauesten Leuten Deutschlands“) hätte über jedes einzelne Wort nachgedacht und die Orthographie logischer gemacht – aber nur im kleinen Rahmen. Schnell wirft er zum Beweis eine Folie an die Wand: Nur fünf neue Regeln finden sich dort auf einer ganzen Duden-Seite, mit einem roten Stift feinsäuberlich eingekreist.

„Kuss“ statt „Kuß“ oder „isst“ statt „ißt“. Logischer könnte das neue Reförmchen für Kinder doch gar nicht sein. Schließlich basiere unsere Sprache doch auf Zweisilbigkeit. Da sei es doch nur logisch, „Kuss“ zu sagen, wenn es sowieso „Küsse“ heißt. Oder der Kamm, schon immer in der Mehrzahl zu „Kämmen“ gemacht wird. Leider gebe es bittere Ausnahmen: „Grüße“ und „Gruß“ bleibt ebenso wie „essen“ und „aß“.

Aber egal. Kleine „Irritationen“ müssen eben sein, findet Menzel. Das könnte sogar förderlich für die SchülerInnen sein. „Die Kinder denken jetzt mit und zweifeln. Zweifeln ist immer gut“, ist sich der Rektor sicher. „Da muß man den Kindern eben sagen: Es gibt Probleme, die selbst ein Orthograph nicht lösen kann.“

Lösen und helfen – das aber lag den LehrerInnen gestern am meisten am Herzen. Da waren sie für sämtliche Tips zur neuen Unterrichtsgestaltung dankbar, die Menzel sichtlich engagiert in die Runde warf. „Was würdest Du lieber schreiben?“ – mit dieser Übung „werden Sie die Kinder begeistern“, sagt er. Ob „Mayonnaise“ oder „Majonäse“, „charmant“ oder „scharmant“ – „lassen Sie die Kinder wählen, sie denken jetzt mehr über Sprache nach.“ Auch das Korrigieren alter Lernbücher könnte hilfreich sein. Sehr gut käme auch das neue Dikatschreiben an. Statt bisher nur ein Wort könnten die Kinder doch verschiedene Schreibweisen anbieten. „Dann gibt es nur einen Fehler, wenn gar kein Wort richtig ist“, so Menzel und schlußfolgert gewagt: „Wenn die Reform kommt, werden die Kinder weniger Fehler machen“.

Weniger Rotstift im Diktat – ein neues Paradies für die Bremer LehrerInnenschaft? Wie hatten da einige LehrerInnen im Podium über den Verfall der Schreibkultur in der SchülerInnengeneration geklagt. Doch von dummen SchülerInnen wollte der Rektor gar nichts wissen: „Fehler sind nur verunglückte Denkprozesse“, sagt Menzel. Da könnte die neue denkanregende Rechtschreibreform auch für „schwache Rechtschreiber“ eine Chance sein. kat