Standortfaktor Samba

■ Fünfzig Masken- und Sambagruppen aus dem In- und Ausland eröffnen heute abend den Bremer Karneval

Warum sparsam sein in Zeiten der Sparsamkeit? Es wäre schlecht bestellt um die Narretei, wenn sie sich an staatlich verordnete Askese hielte. Schließlich tun das nicht mal Politiker, solange es ums Eigene geht – und darum geht's den NärrInnen immer.

„In Hülle und Fülle“ lautet das Motto des diesjährigen Bremer Karnevals, der sich heute abend im Lagerhaus warmtrommelt für den großen Umzug am Samstag. Ein Riesenspektakel: 50 Samba-, Bläser- und Maskengruppen aus Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden werden zwischen Viertel und Marktplatz die Häuser und Hüften in brasilianischem Rhythmus zum Schwingen bringen. Ein Entkommen gibt es nicht. Wer einmal drinsteckt, ist zum Mitmachen verdammt. Das liegt am Samba, dessen ansteckende Wirkung selbst im kühlen Norden niemand mehr zu unterschätzen wagt. Dabei hat der Bremer Karneval, der in diesem Jahr zum zwölften Mal stattfindet, nicht nur die Einheimischen infiziert. Er zieht mittlerweile BesucherInnen aus dem ganzen Bundesgebiet an.

Doch wie kam der Samba nach Bremen? Dafür zeichnet die Schweizerin Janine Jaeggi verantwortlich. Als sie nach Bremen zog, suchte sie nach einer Sambagruppe, fand indes nur dunkle kalte Wüste. Also packte die pragmatische Schweizerin selbst an und gründete „Confusão“. Diese erste Formation zog 1985 lärmend durch's Viertel und feierte, argwöhnisch beäugt, die Geburtsstunde des Bremer Karneval.

„Es sollte in Bremen eine eigene Szene, ein eigener Karneval entstehen“, blickt Janine Jaeggi heute zurück. Keiner von der Art Helau und Radau. „Der rheinische Karneval ist zu weit weg“, erklärt die Luzernerin, die in Bremen lebt und das Ohr immer am Puls der brasilianischen Hauptstadt hat. Daß sich Bremen neben Coburg zu Deutschlands größter Sambametropole entwickeln würde, das allerdings konnte auch sie damals nicht ahnen.

Ihr subversives Tun freilich hat sie nie unterbrochen, Janine Jaeggi trommelte in Bremen immer mehr Fans der brasilianischen Rhythmen zusammen und brachte sie mit Workshops in Gleichklang. Heute treiben zehn Bremer Sambaformationen mit Surdos, Caixas, Timbales, der Repenique und allerlei Blechinstrumenten der Hansestadt die bösen Geister aus.

„Ein Fest gegen die Kälte und innere Dunkelheit“ soll es werden, „ein Fest, das Begegnungen schafft und Brücken schlägt zwischen aktuellem Zeitgeschehen und archetypischem Wissen, zwischen Menschen unterschiedlicher Regionen und Länder, die zusammenkommen und die eigene Welt mal auf den Kopf stellen.“

Lärmende Unterstützung erhalten „Confusão“, „Jacaré“, „Escada Escura“, „Some Biesters“, – Bremens einzige Frauencombo –, „Marcasão“, die „Megaperls“ und all die anderen durch 40 Gruppen aus dem ganzen Bundesgebiet. Für ganz neue Töne sorgen diesmal die „Quastenflosser“, eine Fasnachtgruppe aus der Schweiz. Sie bringen die Guggenmusik ins Viertel, die sich durch ganz besonders schräge Töne auszeichnet: „Gugge“ ist im Schweizerdeutsch die Bezeichnung für ein Blasinstrument. Gemeinsam mit Trommeln und anderen Rhythmusinstrumenten wird dann „geschränzt“: Instrumenten und Stimmbändern werden, so laut es geht, alte oder neue Lieder entlockt, Gassenhauer sowie aktuelle Songs aus der Hitparade. Zum Schränzen gehören freilich auch opulente Kostüme, aus denen häufig übergroße Köpfe herausglotzen. Vergleichbar denen der Bremer Blaumeiers. Auch sie werden ebenso wie die „Scharlotten“ am Samstag in neuer Schale erscheinen und durch ihr stummes Treiben Verwirrung stiften und freudige Ängste schüren.

600 Aktive, – Gaukler, Akrobaten und 500 MusikerInnen – , werden die Bremer Bevölkerung und Zugereiste beim samstäglichen Umzug in Wallung bringen, in jene bei allem Getrommel doch meditative Vorwärtsbewegung, die für den Samba so charakteristisch ist. Mit Spannung darf besonders das Eröffnungs- sowie das Abschlußkonzert erwartet werden, bei dem sich alle zum großen Inferno zusammenschließen.

Dieser Moment glückvoller Entgleisung will hinausgezögert, will gehalten werden oder verlangt nach Wiederholung. Zum neuerlichen Höhepunkt kommt es daher am Abend beim „Großen Hüllenball“ im Schlachthof: Dort gießen 22 Gruppen auf drei Bühnen Öl ins Feuer, um der Hölle noch näher zu rücken. Freilich bietet diese nur ein beengtes, aber eben auch ein wärmendes Plätzchen. dah

Fr. 19.30 Uhr: Einheizen im Kioto. Sa. ab 12 Uhr Treiben im Viertel, 14 Uhr Eröffnung auf dem Marktplatz, danach Umzug ins Viertel. 17 Uhr Abschluß auf dem Ostertorsteinweg, 20 Uhr großer Hüllenball im Schlachthof