■ Mögliche Orte
: Ein Kinderärmchen

Ich kenne niemanden, der sich der Magie von alten Gegenständen entziehen kann. Doch während man sich anderswo an der Patina von Nußbaumkommoden oder dem Charme von alten Haushaltsgeräten erfreuen kann, gibt es in der Goebenstraße einen Laden der Scheußlichkeiten mit der magischen Anziehungskraft eines Gruselkabinetts. Von Regen und Zeit zerfressene Pappkisten stehen auf der häßlichen Straße, gefüllt mit einer Auswahl der ältesten, geschmacklosesten und dreckigsten Gegenstände, die man sich vorstellen kann.

„Para Cosmetic Haarkur“ mischt sich liebevoll mit einer Tube weißer Schuhcreme und verklebt die Haarbürsten immer hoffnungsloser mit der Einhornkerze aus weißglitzerndem Wachs. Ein Bild mit goldenem Rahmen zeigt einen Pudel vor einer Blümchentapete, und einer Babypuppe hat jemand mit einem Kugelschreiber die Augen ausgestochen. In das Buch „Arabisch lernen für Anfänger“ ist ein Dreigroschenheftchen mit verherrlichenden Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg gerutscht. Die rührende Kinderzeichnung eines Weihnachtsmannes verziert ein anderes Buch. Teekannen sind nicht ausgewaschen. Eine sieht aus, als habe sie kurz zuvor noch bei einem Kaffeekränzchen Dienst getan. Was wurde da wohl besprochen?

„Erna, irgendwann werde ich dieses blöde Teeservice wohl verhökern.“ – „Erna, ich habe mich entschlossen, nach Australien zu ziehen.“ – „Erna, ich glaube, ich werde wegen des Ziehens im Bauch doch mal ins Krankenhaus gehen.“

Aschenbecher sind gefüllt mit Zigaretten, Kartenspiele liegen verstreut wie nach einer langen Pokernacht, unzählige ausgelatschte Schuhe sind schon viele, viele Kilometer gelaufen. Aus der Tür des Ladens tritt ein alter Mann, der aussieht, als gehöre er zu den Gegenständen, die hier verkauft werden. Sein weißes, talgiges Gesicht ist umkränzt von langen fettigen Haaren, und die regenbogenfarbigen Hosenträger sind eine Ode an den schlechten Geschmack.

Er winkt eine Frau mit Sherrygläsern zu sich nach hinten, und ich kann nicht widerstehen. Ich öffne die Tür zum Laden vorsichtig und stehe in einem völlig dunklen Raum. Die Schaufenster sind mit Pappe verklebt. Noch ans Tageslicht gewöhnt, kann ich alles nur schemenhaft erkennen. Mannshohe Berge von Gegenständen wie Staubsauger, Geschirr, Möbel, verdeckt mit Gardinen und Nachthemden, füllen den Raum. Die Atmosphäre ist gespenstisch. Als wäre Mutti hier begraben neben Erna, als würden die Gardinen nur mühsam all die Füße verdecken, die mal in den Schuhen gesteckt haben. Und plötzlich sehe ich ein Kinderärmchen aus dem Berg ragen. Ich bleibe starr vor Entsetzen stehen, bis ich merke, daß es ein Staubsaugerrohr ist. Entschuldigend lächelnd kaufe ich für eine Mark eine Tasse. Sie muß zu einem sehr teuren Service gehört haben und wurde sicher nur bei großen Feiern gedeckt. Ich werde sie künftig als Aschenbecher benutzen. Anna Klamroth