Eine Handvoll Megaperls

Ein Varieté der etwas anderen Art: Improvisation ist alles bei der „Besonders-Gala“ im Supamolly, einem der besetzten Häuser in Friedrichshain  ■ Von Klemens Vogel

Dem feisten Fischleib wachsen Drachenflügel, daneben zerfasert ein androgyner Menschenkörper in blutige Blitze: Phantastische Trash-Fresken haben unbekannte Künstler an die Decke des Ballraums gepinselt.

Die bizarren Hybridwesen auf dem kalten Deckenbeton werden einmal im Monat zu stummen Zeugen von Metamorphosen anderer Art: An jedem ersten Sonntag im Monat ist im Supamolly, einem besetzten Haus in der Jessnerstraße in Friedrichshain, „Besonders- Gala“. Oder einfach: „Gala“. Bei Gala kann jeder mitmachen. Gala kostet keinen Eintritt. Und: Sie passiert auf der Bühne.

Allerlei Gauklervolk scheint an diesen Tagen dort zu wandeln (und sich zu verwandeln): Schauspieler, die aber auch Musiker sind. Artisten, die schauspielern. Pantomimen, die singen. Statisten finden sich in Hauptrollen wieder. Auch die Zuschauer sind hier Protagonisten.

Show-Quirl mit Zufallsgenerator

Eine Theaterschimäre ist die Gala- Show, eine Art Wolpertinger der Underground-Bühne. Gala variiert verschiedenste Ausdrucksformen – ist aber kein Varieté, das hygienische Showhäppchen liefert. Sie ist eher ein moulinexähnlicher Show-Quirl. Mit Zufallsgenerator.

Deine erste Gala: Zehn Zentimeter Holzbank-Ecke kommen fast einem Logenplatz gleich. Viele Zuschauer balancieren auf Zehenspitzen. Der Blick streift nochmals die Deckenbilder. Die Gala-Mutationsmaschine springt an: Ein Jongleur verwandelt sich in den Wächter der griechischen Unterwelt (und zurück). Eine Banane ist schuld am Wendedesaster (und wird kleingehackt). Der „Weiße Riese“ mutiert zum Rauschmittel (Koks Megaperls?). Geister werden zu Ehefrauen, leuchtende Jonglierkugeln zu Planeten. Traumerscheinungen zappen sich eben kurz an den Mittagstisch. „Die Szene war so eigentlich gar nicht geplant“, sagt schon mal einer hinterher. Kann passieren. Denn Gala bedeutet: improvisieren. Die Szenenfolge wird meist am Vorabend in lockerer Kneipenrunde ausbaldowert.

„Gala ist halt Gala“, sagen die Leute im Publikum, die unentwegt rauchen, essen und trinken – als wären sie beim Kaffeeklatsch – und die eigentlich gar kein Publikum sind, sondern auch irgendwie: Gala. Ist ein Gag auf der Bühne schlecht, hat irgendwer im Plenum garantiert die Retourkutsche auf der Zunge. Gala wird gemeinsam zelebriert. Eine grandiose Feedback-Schleife...

Erst mal zwei Gänge runterschalten. Daß die Besonders-Gala zu einer Institution der Hausbesetzerkultur werden würde, war nicht unbedingt abzusehen, als Annika und Berta vor drei Jahren den lahmen Besuch des Supamolly-Sonntagsnachmittags-Cafés mit Performance und Kleinkunstdarbietungen ankurbeln wollten. Es wurde ein bißchen jongliert und ein bißchen gekalauert – doch den richtigen Groove ins Projekt brachte erst der „Soap-Effekt“: Das Nummernprogramm bekam eine Rahmenhandlung in Fortsetzungen verpaßt. Zu Anfang gab es eine Derrick-Parodie, später dann sattelte die Gala-Crew, der Leichen überdrüssig, auf ein Familienszenario um.

Die Fixsterne der polymorphen Gala-Galaxis heißen Bond und Kleinschmidt. Genauer: Horst Bond, pensionierter Kommissar und Marianne Kleinschmidt, Hausfrau. Die Abenteuer des Rentnerpaares bilden das Rückgrat jeder Gala-Produktion. Mit Bingo spielen haben die beiden allerdings nichts am Hut – die Storyboards sehen für sie Aktivitäten wie Revolutionen, Talk-Show-Besuche und Hades-Trips vor. Um, in und zwischen die Handlung werden Jongleure, Chansons und der neueste Schnack montiert. Dies alles durchweht der Sound der Gala- Band, die mit dem Schlachtruf „keine Gitarristen“ Chansons, Musical-Standards und Brechtsongs beisteuert.

Zweifellos identifikationsfördernd wirkt auch die „Kiez- Schiene“: „Wir greifen natürlich interne Häuser-Probleme, Klatsch und Tratsch aus Friedrichshain auf“, verrät Oswaldt, „Gala“-Urgestein, fast von Anfang an dabei. Wobei das Publikum immer bunter wird: Fans aus Wedding, X-Berg und gar Schöneberg wurden schon gesichtet. Doch „Gala“ und Häuserleben gehören zusammen. Politisches Varieté? „Wir sind auf keinen Fall verbissen“, meint der Posaunist und Schauspieler Fedro.

Einen besonderen politischen, gar politisch korrekten Anspruch habe die Gala nicht. Spaß wolle man haben, ausprobieren. Doch wenn, wie im Herbst, Schönbohmsche Räumkommandos die autonome Szene durcheinanderwirbeln, wird das natürlich thematisiert. Jedoch: Die Gala-Crew setzt immer auch auf Selbstironie. So findet es Oswaldt gut, daß „durch Satire anderen Leuten gewisse Lächerlichkeiten“ vorgehalten werden können. Auch der eigenen Szene.

Realität und Fiktion auseinanderdividieren

Wie wundersam sich bei der Gala improvisierte Satire und reales Geschehen verbinden. Etwa damals, am Tag, als die Kastanienallee 71 geräumt wurde: Marianne Bond alias Annika stürmte die Bühne mit den Worten „Die 71 wird geräumt!“. Oswaldt, in der Rolle von Horst Bond, hielt das Ganze für eine Spielszene.

Geschlagene fünf Minuten diskutierte man, um Wirklichkeit und Fiktion auseinanderzudividieren. Dann wurde die Show abgebrochen. Als die Gala-Leute – noch in Anzug, Smoking, Kleid – schließlich in der Kastanienallee auftauchten, hielt die Staatsmacht sie für Vertreter des Kapitals. Vom Hausbesetzer zum Hausbesitzer in fünf Minuten. Phantastische Metamorphosen.

Nächste Besonders-Gala im Supamolly: ausnahmsweise morgen, 21 Uhr, Jessnerstraße 41