Hände abschlecken in Wien (I) Von Wiglaf Droste

Guten Tag. Heute möchte ich ein wenig brechen, und zwar eine Lanze. Beziehungsweise gleich mehrere; zunächst gilt es, den 30. Januar zu rehabilitieren. Für die dümmeren Deutschen, die man unter anderem daran erkennt, daß sie sich chronisch für die schlaueren halten, ist dieser Tag eine willkommene Gelegenheit, ihre Zirkusreife vorzuzeigen: Gleichzeitig unter der Auslegeware durchkrabbeln, die Hände ringen und „Machtergreifung“, „Nie wieder...“ undsoweiter murmeln, das haben sie drauf, und je länger das her ist, desto mutiger und entschlossener zeigen sie ihre Bereitschaft vor, den 30. Januar 1933 aber sowas von zu verhindern. Gäbe es derzeit eine gebündelte und straff organisierte nationalsozialistische Kraft im Land, sie hätte viel zu lachen über die Leute, die sich für ihre Gegner halten.

Den 30. Januar mit Hitler-Gebrummel zu verbringen, ist grundverkehrt. Vergeßt Hitler!, möchte ich ausrufen, der Mann hat uns doch nichts mehr zu sagen! Ganz im Gegensatz übrigens zu Fritz Eckenga, der am 30. Januar Geburtstag hat! 30. Januar 1955! Das klingt doch unvergleichlich viel besser als 30. Januar 1933! Und deshalb wird hier auch gedichtet: Das Kleinkind beschmiert sich / der Deutsche blamiert sich / aber Fritz Eckenga / wird zweiundvierzig. Und spätestens von nun an soll am 30. Januar über den großen und klugen Fritz Eckenga gesprochen werden statt über den Versager Adolf Hitler.

Von Hitler nach Österreich ist es nur ein winziger Schritt. „Schade, daß man dieses kotelettförmige Land nicht einfach in eine Pfanne werfen, braten und aufessen kann“, schrieb Bernd Eilert einst über das Land, das jetzt Jörg Haider vor sich hertreibt und das wegen seiner Einwohner, die partiell spinnwebenüberwoben im Kaffeehaus vorbildlich ihr Leben verdämmern, als gemütlich gilt.

Wenn man von Deutschland mit der Lufthansa nach Wien fliegt, bekommt man ein kleines Heftchen mit Benimmregeln in die Hand gedrückt. „Der Handkuß für Damen findet heute noch allgemeine Anwendung“, heißt es da, und man fragt sich, in welcher Zeit die Lufthansas leben. 1933, als in Deutschland der Handkuß eingeführt wurde, nämlich am 30. Januar? Andererseits kann man die Panik vor schlechtem deutschen Benimm ja verstehen; der taz vom 3. August 1996 zum Beispiel entnehme ich, daß ich schon einmal in Wien war – woran ich mich sonst nicht hätte erinnern können –; Harry Rowohlt nämlich sagt dort: „Als ich mir in Wien mit Wiglaf Droste ein Hotelzimmer teilte und er sich übergeben mußte, habe ich ihn ins Waschbecken kotzen lassen. Erst als er fertig war, habe ich ihn darauf hingewiesen, daß er auch die Toilette hätte nehmen können. Die stand gerade mal zwei Meter daneben.“

Weit davon entfernt, den großen und klugen, nicht Fritz Eckenga, sondern Harry Rowohlt zu korrigieren, möchte ich nur ergänzen, wie – laut Harry Rowohlt – die Geschichte weiterging: daß ich nämlich ihn, Harry Rowohlt, blutunterlaufenen Auges angestiert und geröhrt hätte: „Die mach' ich dann als nächstes voll.“

(Lesen Sie nächste Woche die Fortsetzung der Kolumne: über Hermes Phettberg, Schnürriemen, Jogi Metes, Taschenpfändung, guten Geschmack, Robert „Bhwana Bob“ Gernhardt, Frau Fischer, Frau Müller und Herrn Rowohlt und das phantastische Händeabschlecken in Wien, und warum Henlyk M. Blodel mit alldem nüscht zu tun hat.)