Eine Alternative hat die Linke nicht

Spaniens Ex-Regierungschef Felipe González will wieder an die Macht. Von einem Zusammengehen mit der Rest-Linken hält er aber nichts  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Die Müdigkeit der letzten Monate ist gewichen. Felipe González, der kurz vor seiner Wahlniederlage gegen den Konservativen José Maria Aznar vor knapp einem Jahr sogar sein Amt als Parteichef abgeben wollte, möchte jetzt zurück in den Regierungspalast Moncloa. „Aus purer Eitelkeit“, pflegt er süffisant grinsend zu sagen, wenn er nach den Gründen befragt wird.

Rein rechnerisch hat die Linke in Spanien nie die Mehrheit verloren. Die Zeitschrift Temas al Debate, die den Erneuerern innerhalb des kommunistischen Wahlbündnisses Vereinigte Linke (IU) und einem Teil der Sozialisten um Parteivize Alfonso Guerra als gemeinsames Diskussionsforum dient, machte folgende Rechnung auf: Die sozialdemokratische PSOE und die IU erzielten bei den Wahlen zusammen 48,1 Prozent der Stimmen. Wären sie nicht getrennt angetreten, sondern auf einer gemeinsamen Liste, hätte dies ganz leicht zur absoluten Mehrheit gereicht. „Um die Vorherrschaft im Lande zurückzugewinnen, sind Gespräche und Abkommen zwischen PSOE und IU notwendig. Nur so sind wir in der Lage, die gesellschaftliche Mehrheit der Linken in eine stabile parlamentarische Mehrheit zu verwandeln“, schlußfolgerte das Blatt einen Monat nach der Wahlniederlage.

Die ersten zaghaften Schritte zu einer solchen Annäherung der Linken finden in Katalonien statt. Pascual Maragall, Sozialist und charismatischer Bürgermeister von Barcelona, propagiert mit Blick auf die nächsten Regionalwahlen ein Bündnis aller fortschrittlichen Kräfte, „mit dem Ziel, zur zentralen Kraft der Linken und einer Alternative zur Politik des Nationalisten Jordi Pujol zu werden“. Daß es ihm um mehr geht als um eine Bündelung von Oppositionspolitik, daran läßt Maragall keinen Zweifel. Als Name für das neue Kind wird „Olivo“ gehandelt – eine unmißverständliche Anspielung auf das italienische Regierungsbündnis. „Initiativa per Catalunya“ (IC), wie IU in der Nordregion heißt, steht solchen Plänen offen gegenüber. Seit Jahren streitet sich die vom Erneuererflügel beherrschte IC mit der orthodoxen IU-Parteiführung um Chefkoordinator und KP-Generalsekretär Julio Anguita um eine Öffnung Richtung PSOE. Seit Maragall vor einigen Wochen auch noch ankündigte, Ende des Jahres seinen Bürgermeisterposten abzugeben, sehen ihn viele schon als Kandidaten. In Umfragen würden 38 Prozent der Katalanen Maragall gerne in der Regionalregierung sehen. Das sind nur zwei Prozentpunkte weniger, als der bisherige Präsident Jordi Pujol von der nationalistischen Convergència i Unió (CiU) bekommen würde, der die Regierung des konservativen José Maria Aznar in Madrid unterstützt. Erstmals läuft Pujol Gefahr, einen ernstzunehmenden Rivalen an den Urnen zu haben.

Die Entwicklung in Katalonien läßt auch im restlichen Spanien Hoffnungen auf ein Zusammengehen von PSOE und IU aufkommen. Vor allem die Demokratische Partei Neue Linke (PDNI), die Erneuerer innerhalb von IU, die immerhin 40 Prozent der Basis hinter sich vereinigen, hoffen, daß von dort eine Signalwirkung auch für das restliche Spanien ausgehen könnte. PDNI-Vorsitzender Diego López Garrido wird seit der Wahlniederlage der PSOE nicht müde, eine gemeinsame Oppositionspolitik mit der PSOE im Madrider Parlament einzufordern. Zwar empfängt ihn Felipe González hin und wieder, aber was in Katalonien möglich scheint, muß spanienweit noch lange nicht funktionieren. Das Projekt „Olivo“ stößt sowohl bei der orthodoxen IU- Mehrheit als auch in breiten Teilen der PSOE auf wenig Gegenliebe. Als „arbeiterfeindlich“ gilt den orthodoxen Kommunisten die Politik der PSOE, zu wenig europaorientiert sei das Linksbündnis, kontert González, der es lieber einmal mehr alleine versuchen möchte. Selbst seine Kritiker in der PSOE widersprechen ihm nicht. Eine Alternative zu González als Parteichef und Spitzenkandidat ist ohnehin nicht in Sicht.

Auch die programmatischen Grundlagen, um die sich González höchstpersönlich kümmert, sind unmißverständlich: Ein Zusammengehen mit „links“ ist nicht erwünscht. „Flexible Strukturen“, eine „zugespitzte Form der Planung für den Wettbewerb und die Arbeitsplatzschaffung“ brauche es in einer Zeit, in der es unmöglich sei, bei der „Amortisation der Kapitalinvestitionen auf 30 oder gar 40 Jahre vorauszuplanen“.

Seine „Antworten auf den neoliberalen Fundamentalismus, der die Welt der Ideen beherrscht“ sehen ein endgültiges Schlachten heiliger sozialdemokratischer Kühe vor: „Das Haushaltsdefizit als Motor der Entwicklung hat ausgedient.“ Keynes ist endgültig reif für die Mottenkiste. Der Staat soll „soweit wie möglich“ abgespeckt werden. Ansichten, die sich auch im konservativen Lager finden.

Noch tut sich González in seiner Rolle als Oppositionsführer schwer. Nach seiner 13jährigen Regierungszeit ist er noch immer ganz der Staatsmann und zieht Auftritte auf der internationalen Bühne dem langweiligen Parlamentsalltag auf der Oppositionsbank vor. Er habe halt den Chip noch nicht gewechselt, mußte sich der PSOE-Führer denn auch entschuldigen, als die Rede bei seinem ersten Auftritt als Oppositionspolitiker allzu staatstragend ausfiel. Und das nicht zuletzt, weil er beim wichtigsten Thema, Maastricht, kaum Meinungsverschiedenheiten mit der neuen Regierung hat.

Zwar werfen die Sozialisten den Konservativen vor, den Staatshaushalt an den falschen Ecken auf Maastricht-Niveau zusammengekürzt zu haben, doch mit dem Ergebnis sind sie zufrieden. Spanien, so scheint es, wird bei der ersten Runde der Währungsunion dabeisein. Davon gehen mittlerweile selbst die Experten des IWF aus. Die Streiks im öffentlichen Dienst gegen eine aufgezwungene Nullrunde sind dabei für González nichts weiter als Begleitmusik. „Ich war kein Gewerkschafter, als ich an der Macht war, in der Opposition werde ich es auch nicht sein“, sagte González barsch. Er scheint froh darüber, den entscheidenden, unpopulären Schritt nach Maastricht – „einem der Grundpfeiler des europäischen Sozialismus“, wie der PSOE-Chef am Grab des griechischen Ministerpräsidenten Andreas Papandreou bekannte – nicht selbst tun zu müssen. Denn während Aznar wegen der Sparpolitik Federn lassen muß, steigen die Sozialisten schon wieder in der Wählergunst. Bis zu vier Prozentpunkte Vorsprung geben die Meinungsforscher González, wären nächsten Sonntag Wahlen.

Die Konservativen, von den Umfragen aufgeschreckt, schießen weiterhin gegen die Sozialisten, als wären die noch immer an der Macht und sie noch immer in der Opposition. Jedesmal wenn die PSOE zaghafte Kritik an der Regierungspolitik Aznars anmeldet, zaubert die PP neue Skandale der PSOE aus dem Hut. Frische Staatsterrorismusvorwürfe in der GAL-Affäre gegen Kritik am Haushalt, illegale Parteispenden bis hinunter in die Rathäuser gegen Mißmut beim Thema der Regionalfinanzierung, Schlamperei beim Steuereintreiben durch die Sozialisten gegen den Vorwurf, Maastricht per Nullrunde auf dem Rücken der Beschäftigten im öffentlichen Dienst auszutragen. Der Stoff scheint der Sensationszeitung El Mundo und dem PP-Demagogen und Regierungsvizepräsident Francisco Alvarez Cascos nicht auszugehen. Doch die Taktik, González endgültig demontieren zu wollen, will erstaunlicherweise nicht aufgehen. Für allzu viele riechen die Angriffe der PP nach üblem Nachtreten, und sie solidarisieren sich erst recht mit González.

Was die Sozialisten allerdings nicht bedenken: Der von den Umfragen prognostizierte Sympathiegewinn könnte ebenso schnell wieder verpuffen, wie er gewonnen wurde, sollte es Aznar tatsächlich gelingen, Spanien gleich zu Beginn in die europäische Währungsunion zu führen. Eine Studie der EU- Kommission zeigt, daß nur 31 Prozent der Spanier über das mögliche Ende ihrer nationalen Währung, der Pesete, besorgt sind. Europaweit sind es immerhin 53 Prozent. Viele Sozialisten befürchten deshalb, daß Aznar nach erfolgreichem Eurobeitritt nicht bis zum Jahr 2000 wartet, sondern sofort das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen könnte, um die Währungsunion in Wählerstimmen umzumünzen. Dann könnte es sich bitter rächen, daß die PSOE die Zeit zur Erneuerung und zu einem Zugehen auf die restliche Linke ungenutzt verstreichen ließ.