Kotau in Washington

■ USA stützen Çillers Verbalattacke gegen EU

Die US-Regierung ist tief besorgt – und tief gesunken. Vorgestern hatte die türkische Außenministerin Tansu Çiller ihre europäischen Amtskollegen mit Drohungen brüskiert, sie werde die Nato-Osterweiterung per Veto blockieren, falls die Türkei nicht in die EU aufgenommen werde. Ein unverblümter Erpressungsversuch. Nun hat der Sprecher des US-Außenministeriums, Nicholas Burns, die EU aufgefordert, Menschenrechtsfragen nicht zum Hindernis für eine Aufnahme der Türkei in die EU zu machen. Aus strategischen Gründen müsse die Position der Türkei in Europa gestärkt werden. Ein Kotau vor einer Außenministerin, deren Ruf längst ruiniert ist.

Dabei will Çiller eigentlich nur die durch das Europaparlament – nicht ohne Druck Griechenlands – nach wie vor gesperrten Hilfsgelder der EU loseisen, immerhin 700 Millionen Mark. Innenpolitisch ist die Außenministerin durch Korruptions- und Mafia-Vorwürfe so angeschlagen, daß sie ihr Heil in Attacken gegen die EU zu suchen scheint. Und die USA spielen mit, weil sie einerseits die Zusammenarbeit mit dem Nato-Partner Türkei Richtung Irak brauchen und andererseits im Zypern-Konflikt eine Vermittlerrolle anstreben. Da scheint es opportun, der in dieser Frage widerspenstigen Türkei Unterstützung beim EU-Thema zu signalisieren.

Niemand will die Türkei derzeit wirklich in die EU aufnehmen. Solange der Konflikt mit Griechenland um Zypern und die umstrittenen Hoheitsrechte in der Ägäis nicht geklärt sind, fühlt sich die EU überfordert, solch eine Auseinandersetzung zwischen Mitgliedsländern auszuhalten. Die jetzt hochgehaltene Menschenrechtsfrage dürfte sich zu gegebener Zeit tatsächlich als zweitrangig herausstellen.

Vorerst bleibt die Gefahr, daß eine angeschlagene Tansu Çiller, mit der kein Staat zu machen ist, eine Menge Ärger verursacht. Denn ihre Absetzung ist eher unwahrscheinlich – der islamistische Ministerpräsident Erbakan braucht Çillers Partei, um die Regierungsmehrheit nicht zu verlieren. Kommt der Druck gegen Çiller aber von außen, wird die vom Westen ohnehin mißtrauisch beäugte Erbakan-Regierung erst recht zusammenrücken. Çiller ist zum Zentrum eines Perpetuum immobile geworden – und ein Entsorgungsproblem. Bernd Pickert

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