Kranz schauerlicher Lieder

■ Heute abend im Schnürschuhtheater ein Experiment von und mit Franz Schuberts gar nicht so trauriger „Winterreise“

„Ich werde Euch einen Kranz schauerlicher Lieder vorsingen. Sie haben mich mehr angegriffen als dieses je bei anderen Liedern der Fall war.“ So Franz Schubert 1827, ein Jahr vor seinem Tod zu seinen Freunden.

Die schauerlichen Lieder waren „Die Winterreise“ – mit Ausnahme des volkstümlichen „Lindenbaumes“ haben die Freunde sie nicht verstanden. Die 24 Lieder des „Wanderers“ – dies ein Zentralthema in Schuberts Werk – sind immer wieder Gegenstand von weitergreifenden interpretatorischen Versuchen gewesen:

So versuchten vor einigen Jahren Schauspieler in Bochum einen szenischen Abend zum Thema des Vormärz in Wien zu gestalten. Wegen der Diktatur des Metternich'schen Zensurstaates Biedermeier war Wolf Biermann einst der Meinung, diese Lieder dürfen keinesfalls gesungen werden. In Basel hat Herbert Wernicke jüngst die „Winterreise“ inszeniert: auf Briefe eines Mädchens „antwortet“ der egozentrische Winterreisende.

Und nun gibt es einen Interpretationsversuch im Schnürschuhtheater, der wiederum einem ganz anderen Ansatz folgt, den politischen Aspekt zwar nicht außen vorläßt, ihn aber zumindest nur in der privaten Reaktion zeigt: in einer Art inneren Emigration. Der Bariton Nils Roese und der Pianist Utz Weißenfels haben herausgefunden, daß Schubert die Gedichte nicht in der Reihenfolge des Dichters Wilhelm Müller vertont hat. Wilhelm Müller, der sich Zeit seines ebenfalls kurzen Lebens mit der Zensur rumgeschlagen hat, repräsentiert einen ähnlichen Zwiespalt zwischen Jugendlichkeit und Resignation wie Schubert. Ob die vom Dichter abweichende Zusammenstellung die Entscheidung des Komponisten war oder ob Schubert einfach die in zwei aufeinanderfolgenden Editionen veröffentlichten Texte unhinterfragt vertonte, ist nicht bekannt.

Weißenfels und Roese haben bei der Müller'schen Zusammenstellung eine Entdeckung gemacht: „Der Inhalt des Zyklus ist viel positiver.“ Der Winterreisende resigniert nicht mehr, sondern bewältigt seine seelische Situation „fast so wie in und nach einer, modern und nach Freud gesprochen, Therapie“. Denn in der Müller'schen Fassung ist ein permanenter Wechsel zwischen Verzweiflung und Aufbruch.

Folgerichtig wird der Abend gestaltet: Der Pianist ist sozusagen der Therapeut, der Sänger der Patient. Und folgerichtig wird die Aufführung auch inszeniert: von Jörg Holkenbrink.

Ute Schalz-Laurenze

Am 2.2. um 20.30 im Schnürschuh-Theater, weitere Aufführungen am 16. und 17. Februar