Weich im Nachklang, gutes Bouquet

■ Der Mann meint es ernst: Arto Lindsays neues Album „O Corpo sutil“ verzichtet auf Dissonanz und gemeinen Unklang. Eine gewisse Bedrohlichkeit bleibt

New York ist die Stadt und Wolfgang Tillmans der Fotograf. Für sein neues Album „O Corpo Sutil – The Subtle Body“ ließ sich der gebürtige Brasilianer Arto Lindsay auf der Höhe der Zeit fotografieren, in jenem Teller-, Schultz-, Berndt- und eben Tillmans-Hyperrealismus, der selbst das einstmals genossene Heroin nicht verschweigt und doch in aller überwundenen Schönheit abbildet.

Die Schönheit ist auch bei Lindsay nie ohne Gefahr gewesen, nie ohne häßliches Spiegelbild und lärmende Verzerrung. Seine langjährige Punk-Band, die berühmt war für ihre wilden Konzerte, hieß Arto Lindsay And His Ambitious Lovers. Der schmächtige Mann aus Nuevo York hat sich vorläufig von ihnen getrennt.

Doch der Sommer, der immer wiederkehrend – und vergangenes Jahr auch in New York – süße Wärme in die vermutlich überall auf der Welt umherschwirrenden Melodien fließen läßt, verführte auch Arto Lindsay: Gänzlich verzichtete der Musiker im Falle seines neuen Albums auf die Dissonanz und den gemeinen Unklang, und doch vermochte er der vollakustischen, minimalistischen Reinzeichnung karger Bossanova- Melodien auf „O Corpo Sutil“ zart mäandernde Bedrohlichkeit unter den Wohlklang zu mischen. Der Mann meint diese entrückt-schöne Musik todernst.

Und so sucht Arto Lindsay trotz Jetlag und einer langen, kräftezehrenden Woche voller Gespräche auch an diesem diesigen Wintertag in Hamburg nach faßbaren Worten, um das Unfaßbare in der Musik in Sprache zu verdichten: „Die schönsten Melodien sind zugleich die erbarmungslosesten und verletzendsten. Und oft wurden sie in Verbindung mit harten Drogen geschrieben oder von Musikern in Kraft gesetzt, die ihre Erfahrungen mit Heroin gemacht hatten.“ Und beißt in sein Käsesandwich, das er sich sehnlichst gewünscht hatte.

Fünfunddreißig kurze Minuten lang ist „O Corpo Sutil“, und doch paßten elf diamantene Stücke auf das Album, das Lindsay gleich zweimal aufnahm, einmal „richtig“ (um es sodann zu verwerfen) und einmal abgespeckt, reduziert, skelettartig, unter Mithilfe von so illustren Freunden wie Brian Eno, Towa Tei, Naná Vasconcelos oder Bill Frisell.

Tatsächlich sollte erst durch die Entkleidung der zumeist in wechselnden Trio-Besetzungen aufgenommenen Stücke Artos faserig- zerbrechliche Sprechsingstimme und vor allem Ryuichi Skamotos aus einer anderen, einer langsameren Welt zu stammen scheinendes Klavierspiel zu einer mitreißenden Stimmungsdichte führen. „Früher hatten Schallplatten häufig eine Spielzeit von nur einer halben Stunde. Ich beuge mich nicht dem Diktat der CD mit ihren 76 brennbaren Minuten!“ Und trotz all der Luftigkeit, mit der die Songs festgehalten wurden, vergeht Zeit im Laufe dieses Albums mit Beiläufigkeit. „My mind is going to stand in line for you, lining up to lie down for you. My mind is going the way my feet would like to if slip“, singt Lindsay in dem herausragenden, hypnotisch-repetitiven „My Mind is Going“. Dieses Mal sind die Füße mitgegangen. Max Dax

Arto Lindsay: „O Corpo Sutil“