Kleinode im Setzkasten der Gefühle

■ Krefafin, Krügerol und Kuko-Reis. Eine halbe Portion Taschenbuch versammelt ein Kompendium der Ostprodukte. Hilfreiche Handreichungen für West-Leser

Es gebe keine Kultur, schreibt der Psychoanalytiker Werner Muensterberger in seinem Buch „Sammeln – eine unbändige Leidenschaft“, in der ein kleines Kind ohne Ängste und ohne Furcht vor dem Verlassen- oder Alleingelassenwerden aufwachsen kann. Der erwachsene Sammler bearbeite in seinem buchstäblichen Greifen nach Gegenständen eine früh erlittene narzißtische Enttäuschung. Der alltägliche Umgang mit Gebrauchsgütern wird demnach keineswegs nur von Zwecken und Funktionen bestimmt. Eine sentimentalische Benutzung und Aufbewahrung der Dinge ist die Regel, und sie konstituiert nicht zuletzt auch einen sozialen Verständigungsrahmen.

Das erklärt vielleicht auch das unbeirrt zähe Weiterleben zahlreicher Waren aus der sozialistischen Güterproduktion der DDR, denen die meisten Marktprognostiker aufgrund von Qualitätsmängeln und anderer Wettbewerbsnachteile ein schnelles Verschwinden vorausgesagt hatten. Was den nachsozialistischen Handel anbelangt, sollte er keineswegs bloß für Ökonomen von Interesse sein. Der Untergang von Kuko-Reis und anderen schönen Dingen lohnt vielleicht hier und da, erinnert zu werden.

Zu diesem Zweck ist nun ein kleines Lexikon in unscheinbarem Grau und von der Größe eines halben Taschenbuchs erschienen, das von A wie Alekto-Besteck bis Z wie Ziphona den schnöden Zauber des realsozialistischen Alltags memoriert. So erfährt der unkundige West-Leser, an den sich das kleine Alltagsbrevier des einstigen Ostens in erster Linie wendet, daß Frottana ein unbeständiger Dauerbrenner in den Wäscheschränken zwischen Beelitz und Zwickau, und der „blaue Würger“ eine wenig verträgliche, aber landesweit allseits verfügbare Schnapsflüssigkeit war. Die vielfach beklagte Mangelgesellschaft kannte erstaunliche Formen von Präsenz und Kontinuität.

Hielt man sich bei Warenbezeichnungen häufig an Abkürzungen, die durch ihren Formelcharakter wohl auf die wissenschaftgestützte Produktion verweisen sollten, so gab es doch Warenbezeichnungen, die den Euphemismen der westlichen Werbekultur nicht nachstanden. „Goldbrand“ war ein „Erzeugnis mit Weinbrand“, wobei die Wirkung nachhaltig durch die zweite Silbe des letzten Worts beschrieben war. Die Volksproduktion von einst ist nun also reif für den Setzkasten der Gefühle.

Das „Kleine Lexikon großer Ostprodukte“ von Reinhard Ulbrich kommt selbst mit dem Charme einer multifunktionalen Mehrzweckwaffe daher. Schaut man einmal unter den Schutzumschlag, dann kommt ein Umsatzwertmarkenheftchen zum Vorschein, und im Klappendeckel findet sich ein Stück Toilettenpapier einer eher niederen Flauschigkeitsstufe. Bisweilen leidet der Autor des kleinen lexikalischen Werks an einem gewissen Originalitätszwang, der durch das Aufzählen wirklicher Originale allemal wettgemacht wird.

Das kleine Leseprodukt beansprucht nicht, mehr zu sein als ein bibliophiler Scherzartikel, ist als solcher aber eine materialreiche Ergänzung der These Michael Rutschkys, daß die DDR so richtig erst nach 1989 entstanden ist – als eine Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft. Harry Nutt

Reinhard Ulrich: „Kleines Lexikon großer Ostprodukte“. 134 Seiten, Micado Verlag, Köthen 1996, 16,80 DM.