„Wir sind keine Hinterwäldler“

Die Züchter von Hochlandrindern wollen den Schlachtungen wegen des BSE-Verdachts nicht tatenlos zusehen. Sie sind wütend auf Seehofer und wappnen sich für einen langen Streit  ■ Aus Oberbayern Klaus Wittmann

Untermühlhausen bei Penzing, in der Nähe vom Ammersee. Eine Weide, darauf grasen schottische Hochlandrinder. In der Nähe hat die Moksel AG, einer der größten Schlachter der Republik, ihren Stammsitz.

Ein alter Mann steht am Zaun. Er kommt oft her: „Das hätte mir auch gefallen, diese kräftigen und genügsamen Tiere. Na ja, aber ich hab' schon vor ein paar Jahren die Landwirtschaft aufgegeben.“

Vielleicht ist das jetzt sein Glück. Die Herde gehört nicht ihm, sondern seinen Nachbarn, dem 73jährigen Wilhelm Endhart und dessen Frau Anna. Und die beiden können ihre Rinder nicht mehr angucken, ohne gleich Wörter wie „Eilverordnung“ und „Abschlachtprogramm“ im Kopf zu haben. Und Wut im Bauch: „Das ist doch eine Gemeinheit. Ich hab' mit dem Tierarzt telefoniert, als die von der Regierung diese Entscheidung verkündet haben. Ich habe gesagt, wenn schon die Muttertiere geschlachtet werden müssen – was ich für einen Blödsinn halte – dann muß doch wenigstens jedes einzelne untersucht werden. Damit wir unseren Kunden sagen können, da schaut her, die haben nichts, absolut nichts. Dann könnten wir wenigstens die Jungtiere behalten.“ Der Haustierarzt habe ihr geantwortet, berichtet Anna Endhart, man könne nichts machen, weil die Tiere gesund seien. Wilhelm Endhart, klein, drahtig und mit einer ausgeblichenen Schildmütze auf dem Kopf, sieht kurz den Enkelkindern zu, die zwischen den Tieren auf der Koppel herumrennen. Sogar an den Stier wagen sie sich dicht ran. „Ist eben 'ne friedliche Rasse“, brummt er. Und das klingt nach ein bißchen mehr als nach einem guten Geschäft mit Fleisch aus extensiver Weidehaltung. „Diese Rinder kommen von der britischen Insel Luing. Die sind seit sieben Jahren bei mir. Da, die Muttertiere sind alle hochträchtig. Und die soll ich nun abschlachten!“ Wilhelm Endhart wendet das Gesicht ab, weist mit dem Arm auf die Herde. „Die sind absolut BSE-frei. Ich hab' den Beleg. Die haben nie Tiermehl bekommen. Solche brauchen ja nicht mal in England geschlachtet zu werden.“

In Untermühlhausen gibt's Widerstand. Die Endharts sind entschlossen, auch einen Eilantrag ans Verwaltungsgericht zu schicken wie diese beiden Landwirte aus dem Ostallgäu und Kollegen aus Niederbayern und der Oberpfalz. Die beiden Töchter sind mitgekommen zur Weide. Sie wohnen woanders, helfen aber den Alten noch bei der Rinderzucht. Renate Gailer nickt, als ihr Vater sagt, „ich geh' nicht raus, wenn die getötet werden, weil ich das nicht mitansehen kann.“ Schlachten ist für den Landwirt und seine Töchter nichts Ungewöhnliches. Aber mit dem, was sie darunter verstehen, hat das, was Borchert und Seehofer vorhaben, nichts zu tun. „Niemand von uns wird bei dieser Niedermetzelei dabeisein wollen“, meint die Tochter.

Ihre Schwester, Ingrid Braunmüller, empört sich: „Der Grund, daß es diese Seuche überhaupt gibt, ist doch das Tiermehl. Wenn das nach wie vor reinkommt, kriegen wir das nicht in den Griff. Morgen hat vielleicht eine Milchkuh BSE, dann wollen sie womöglich den ganzen Milchkuhbestand abschlachten.“ Nein, das würden sie sich nicht gefallen lassen. Das Vernünftigste sei doch, dieses verflixte Tiermehl sofort aus dem Verkehr zu ziehen. Aber da sei die Lobby zu stark. Nach wie vor würden Fische, Hühner, Schweine und Puten mit diesem Zeug gefüttert, würden sie zudem vollgestopft mit Antibiotika und sonstigem Kram. „Ob die BSE haben, wissen wir doch gar nicht, weil die nur ein paar Monate leben. Verdammt noch mal, begreifen die denn nicht, was wirklich läuft. Die schlachten lieber gesunde Rinder ab. Und wir sollen ohnmächtig zugucken! Man kann's gar nicht beschreiben, das ist zu hart.“

Verbraucherschutz, schön und gut, sagen die jungen Mütter. „Ich bin doch auch Verbraucherin. Oder glauben die, daß ich mutwillig meine Gesundheit aufs Spiel setze und die meiner Kinder“. Aber das, was da jetzt ablaufe, habe mit Verbraucherschutz nichts zu tun. „Das weiß doch keiner sicher, woher diese Cindy, diese BSE-Kuh, wirklich gekommen ist“, erregt sich Ingrid Braunmüller: Ich glaube langsam, daß man auf diese Weise gleich noch die Extensivhaltung kaputtmachen will.“

Sie alle geben nichts mehr auf das Gerede der Politiker. Und man kann die Endharts durchaus verstehen. Dann zum Beispiel, wenn man den Versuch unternimmt, einmal nachzufragen, ob denn nun wenigstens eine lückenlose Untersuchung der über 5.000 Schlachttiere geplant sei. Beim Bundesgesundheitsministerium wird verwiesen auf das Bundeslandwirtschaftsministerium, von dort weiter an das bayerische Landwirtschaftsministerium. Doch auch da heißt es, wir sind dafür nicht zuständig. Beim bayerischen Gesundheitsministerium erhält man schließlich die Auskunft, es sei noch offen, ob alle zur Tötung vorgesehenen Rinder untersucht würden oder ob dies nur stichprobenartig erfolge. Schließlich sei das ein Riesenaufwand.

Gut sechzig Kilometer nördlich von Untermühlhausen, in Pöttmes bei Augsburg, haben die Lassels ihren Hof. Der Bauernhof in der idyllischen Hügellandschaft ist neu, und alles ist ein wenig anders als bei den Endharts. Er beherbergt auch die Geschäftsräume der Medizinvertriebsfirma von Bernd Lassel. Der 45jährige Unternehmer und seine Frau haben lange – und erfolgreich – dafür gearbeitet. Ein modernes Büro und draußen vor den Fenstern zottelige Rinder. Keine Galloways, sondern Hochlandrinder, jene braunen struppigen Tiere mit den geschwungenen Hörnern. Die beiden Töchter der Lassels spielen draußen, nicht viel anders als die Endhart-Enkel in Untermühlhausen.

F1-, F2- und F3-Rinder sind es, die hier weiden, wobei die F-Klassifizierung besagt, um welche Generation es sich handelt, alles also in Deutschland geborene Nachzuchten. Was bislang Elvira und Bernd Lassels Rinder davor bewahrte, in das Eilschlachtprogramm „aufgenommen“ zu werden. Ein Zufall. „Als wir vor knapp zehn Jahren angefangen haben, waren englische Mutterkühe nahezu unerschwinglich“, sagt Bernd Lassel. Also haben sie sich langsam eine Herde herangezogen. Etwa 20 Highlander trotten gemächlich im Gelände herum. „Die gehören zur Familie.“

Was passiert, wenn Gesundheitsminister Seehofer seine Pläne umsetzt, bis in die fünfte Generation – bis zu den F5-Rindern – das Totalschlachten anzuordnen? „Dann“, sagt Bernd Lassel, „ist zunächst einmal eine ganz wesentliche Genreserve für die Rinderzucht ein für allemal beseitigt.“ Die nüchterne Bilanz eines erfolgreichen Geschäftsmanns. „Zweitens würde damit ein neuer landwirtschaftlicher Zweig, die extensive Rinderhaltung, nachhaltig ausgemerzt.“ Ein absoluter Blödsinn, meint der einst gefürchtete Müll- Aktivist und erfolgreiche Kommunalpolitiker Lassel. Schließlich seien Highlander und Galloways das völlig falsche Objekt. Denn in England sind über 98 Prozent Fleckviehrinder von der Seuche betroffen. „Fleckviehrinder, die genauso aussehen wie unsere Schwarz-Bunten.“

Die Diktion des Unternehmers und Hobbybauern Lassel wird streng. „Dann hätte auch ein Horst Seehofer das Problem, dem Verbraucher zu erklären, wie er denn ein englisches schwarz-buntes Rind von einem bayerischen schwarz-Bunten unterscheiden will.“ Ergo: man habe sich die zotteligen Hochlandrinder nur ausgeguckt, weil die Gefahr dann scheinbar von ein paar relativ leicht in den Griff zu bekommenen Außenseitern ausginge und die konventionellen „lobbygestützten“ Rassen vorläufig nicht in die Schußlinie gerieten.

Dann sagt Bernd Lassel etwas, das sich bislang wahrscheinlich kein Minister vorstellen kann: „Wenn diese Rinder wirklich geschlachtet werden sollten, ginge eine Lebensphilosophie, 'ne Lebenseinstellung den Bach hinunter. Und da kommt in mir Kampfesstimmung hoch, und die werden die Herren Politiker mit aller Härte zu spüren bekommen.“

Wer diesen Mann und seine Mitstreiter gegen die Arsendeponie Gallenbach hat kämpfen sehen, weiß, daß da nicht jemand am Weidezaun steht, der vorschnell große Worte in den Mund nimmt. „Viele der Züchter sind nicht die dummen Hinterwäldler, die sich als Einstiegs- und Hobbybauern mal so ein paar Schnuckeltierchen halten, sondern sie haben auch was in der Birne. Und ich glaube, wir werden alle unser Gehirnschmalz und unsere Möglichkeiten nutzen, hier ganz massiven Widerstand zu leisten.“ Damit geht er zurück ins Büro.

Vielleicht sollte man an dieser Stelle anfügen, daß ein Zuchtbulle von Bernd Lassel von einem Marketingprofessor aus Hamburg stammt, ein anderes Tier von einem Chirurgen aus Norddeutschland; daß sie sich zusammentun wollen und daß ihre Anwälte die Schriftsätze für den Fall weiterer Eilverordnungen schon vorformuliert haben. „In den letzten Tagen laufen die Drähte heiß, was die Organisation dieses Widerstandes angeht, und ich glaube, da werden die Herren, die so ganz lokker-flockig über das Keulen von mehreren tausend Rindern sprechen, noch ihr blaues Wunder erleben.“

Die Rinder vor dem Bürofenster sind weitergezogen. Sie stehen auf einer Anhöhe, zottelig, gemütlich, so als sei die Welt in allerbester Ordnung. Morgen oder übermorgen wird wieder eine Mutterkuh kalben. Es wird wie von selbst gehen. Zu dieser Zeit werden einige Züchter zusammensitzen, und Bernd Lassel wird sagen: „Allein schon unsere rechtlichen Möglichkeiten sind hervorragend. Denn so lange nicht einmal die Beschlüsse in den betroffenen britischen Herden zum Vollzug gekommen sind, sind wir noch sehr weit weg davon, daß es irgendwelche Nachfolgegenerationen in Deutschland betrifft. Schließlich ist ja bewiesen, daß es keine britischen Hochlandrinder in Deutschland gibt, die aus britischen Beständen stammen, in denen BSE aufgetreten ist.“

Wenn man wirklich konsequent vorgehen wolle, müßte der gesamte Rinderbestand in Deutschland gekeult werden, meint der Züchter. „Weil keiner eine Garantie dafür geben kann, daß nicht die Schwarz-Bunte oder die braune Milchkuh Tiermehl aus englischer Produktion gefressen hat.“ Bernd Lassel hat sich auf weiteren Streit schon eingestellt: „Es gibt sicherlich ein heißes Frühjahr für alle die Politiker, die jetzt nach einer langen Zeit ganz erheblicher Versäumnisse versuchen, mit Minderheiten das Problem optisch in den Griff zu bekommen.“