„Inhumane Prozesse werden verhindert“

■ Kirchenvertreter Gutheil: Kirchenasyl ist „wichtige Einrichtung“ in Grenzsituationen

In Nordrhein-Westfalen haben Beamte das Kirchenasyl für eine kurdische Familie in dieser Woche zwangsweise beendet. Die taz befragte dazu Jörn-Erik Gutheil, Flüchtlingsexperte und Personaldezernent der Evangelischen Kirche im Rheinland.

taz: Herr Gutheil, nimmt die Bedrohung für Flüchtlinge im Kirchenasyl zu?

Jörn-Erik Gutheil: Ich möchte zunächst einmal darauf hinweisen, daß die Gewährung von Kirchenasyl für mich nur eine extreme Ausnahmesituation darstellt. Oft sind im Vorfeld solcher Zuspitzungen politische Lösungen im Interesse der betroffenen Flüchtlinge möglich. Der Leitsatz heißt deshalb bei uns: Das beste Kirchenasyl ist das Kirchenasyl, was nicht stattfinden muß. Wenn allerdings große Mißbräuche geltenden Rechts feststellbar sind, oder wenn wichtige Informationen im Asylverfahren nicht thematisiert werden konnten und Gefahr im Verzug ist, dann halte ich das Kirchenasyl für eine wichtige und für die Kirche gebotene Einrichtung.

Steht die Leitung der Evangelischen Kirche in Nordrhein-Westfalen und im Bund in so einem Fall an der Seite der Gemeinden?

Ich weiß nicht, ob man das generell für die evangelische Kirche so sagen kann, weil wir eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Landeskirchen haben, aber für die Evangelische Kirche im Rheinland gilt, daß wir in solchen Fällen Unterstützung leisten.

Währt der Schutz nicht nur so lange, wie die Behörden mitspielen?

Die Kirche bewegt sich im demokratischen Rechtsstaat nicht im rechtsfreien Raum. Für uns gelten dieselben Rechte wie für alle anderen in diesem Staat. Insofern ist der Begriff Kirchenasyl gewiß irreführend.

Wir benutzen deshalb auch lieber den Begriff Asyl in der Gemeinde. Der Staat kann natürlich auch in kirchliche Räume gehen, um dort das Recht durchzusetzen. Es stellt sich allerdings immer die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Wir bemühen uns jeweils im Vorfeld — und dazu haben wir eigens eine Clearingstelle eingerichtet — um andere Lösungen. Wenn dann aber eine Gemeinde glaubt, es geht nicht ohne die Gewährung von Asyl, dann muß die Gemeinde es im Zweifelsfall auch ertragen, daß der Staat zu einem anderen Ergebnis kommt als sie. Wenn der Staat in einem solchen Fall auf Abschiebung besteht, dann wissen alle, die das Asyl in der Gemeinde unterstützen, daß sie sich möglicherweise strafbar machen und die Kosequenzen auch zu tragen haben.

In 70 Prozent der Fälle, in denen Gemeinden Kirchenasyl gewährt haben, konnte nach einer Statistik der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ die Abschiebung letztlich wegen inhumaner Härten verhindert werden. Belegt das nicht die Berechtigung dieses Weges?

Mit Statistiken bin ich sehr vorsichtig. Was da alles als Erfolg gezählt wird, müßte man sich sehr genau ansehen. Aus diesen Zahlen zu schließen, in 70 Prozent der Fälle hätten sich die Ausländerbehörden willkürlich Verfehlungen schuldig gemacht, halte ich für falsch. Ganz eindeutig ist aber, daß inhumane bürokratische Prozesse oft erst durch die Asylgewährung von Kirchengemeinden verhindert werden konnten. Interview: Walter Jakobs