Freude im Osten

■ Treffen der „Erfurter Erklärer“: Ihr Aufruf zur Wende findet Resonanz

Erfurt (taz) – Tausende von Unterschriften seien inzwischen gesammelt. Gisbert Schlemmer, Vorsitzender der Gewerkschaft Holz und Kunststoff, freute sich mit dem Ausdruck eines Jungen, dem ein prächtiger Streich gelungen ist. Er gehört zu den Erstunterzeichnern der umstrittenen und wohl gerade deshalb wahrgenommenen „Erfurter Erklärung“. Schlemmer, das SPD-Mitglied, bekannte, noch „nie so viele direkte Reaktionen auf eine politische Initiative“ bekommen zu haben. „Das mußte mal gesagt werden – das ist der Tenor aller Anrufer“, so Schlemmer.

Was ausgesprochen werden mußte, wurde gestern in Thüringens Landeshauptstadt am Ende einer anderthalbtägigen Beratung wiederholt: „Wir brauchen eine andere Politik, also brauchen wir eine andere Regierung“, zitierte der Schriftsteller Dieter Lattmann aus dem Aufruf. Tatsächlich war Norman Paech, Staatsrechtler aus Hamburg, so ehrlich, öffentlich eine „gewisse Überforderung“ einzugestehen. „Die Resonanz ist größer, als wir dachten.“ Vor allem im Osten der Republik gibt es zahllose Einladungen an die Erfurter Erklärer, über das Wie eines Bonner Machtwechsels zu sprechen. Wichtiger aber noch sei, so gab Lattmann bekannt, daß auch SPD und Grüne um Gespräche gebeten haben. Beide Oppositionsparteien hatten sich anfangs eher spröde gezeigt, weil in dem Aufruf für einen Wechsel in der Bonner Politik auch mit der PDS gerechnet wird.

Entsprechend selbstbewußt gaben sich die Teilnehmer nach den Erfurter Beratungen. Geplant sind Gesprächskreise und Veranstaltung in allen Teilen der Republik. Dieter Lattmann trug die Idee vor, sich im September in Süddeutschland an einem Treffen zu beteiligen, auf dem an die demokratische Revolution des Jahres 1848 erinnert wird. Und am 3. Oktober werde es in Erfurt einen „Tag der deutschen Einheit“ geben, der, so Gisbert Schlemmer, „eine eigene Interpretation der Wiedervereinigungspolitik“ liefern werde. Jan Feddersen