„... sie haben sich was Neues ausgedacht“

■ Traditionelles Gedenken an die Bremer Räterepublik auf dem Waller Friedhof

Vor 78 Jahren, am 2. Februar 1919, wurde die Bremer Räterepublik durch den Eingriff von Regierungstruppen gewaltsam beendet. Zur Erinnerung an dieses „dreiwöchige Experiment in Selbstverwaltung und praktiziertem Sozialismus“ fand gestern, wie jedes Jahr, auf dem Waller Friedhof eine Gedenkfeier statt.

„Revolutionären Massen“ blieben natürlich aus. Immerhin, um die hundert Teilnehmer hatten sich vor dem Friedhof eingefunden. Lauter alte Bekannte, wie es scheint, die da in kleinen Grüppchen beisammen standen und Schwätzchen hielten. Wenig junge Leute waren darunter, fast konnte man meinen, auf ein gewöhnliches Seniorentreffen gestoßen zu sein, lehnten da nicht ein paar rote Fahnen am Friedhofstor.

Kurz nach elf formierte sich der Zug zum Denkmal für die Gefallenen der Räterepublik, die roten Fahnen, darunter eine von der PDS, wehten voran. Friedhofsbesucher blieben verwundert stehen und fragten, wofür nun hier wieder demonstriert werde.

Vor dem Denkmal erinnerte zunächst Willy Hundertmark kurz an die historischen Ereignisse, die der Proklamation der Räterepublik am 10.1.1919 vorausgingen, auch daran, daß der blutige Kampf hätte vermieden werden können, wenn Noske in Berlin das Telegramm mit dem Waffenstillstandsangebot, das ihm die Arbeiter- und Soldatenräte geschickt hatten, nicht ungelesen in die Tasche gesteckt hätte.

Anhand der Person Casparis, der als Befehlshaber eines Bremer Freikorps die „Gerstenberger“ bei der Niederwerfung der Räte unterstützt hatte, hob Hundertmark reaktionäre Kontinuitäten der deutschen Geschichte hervor, sei Caspari doch unter den Nazis zum Bremer Polizeipräsidenten avanciert und noch nach dem Zweiten Weltkrieg in allen Ehren beigesetzt worden.

Unter dem bewährten Motto „Wer die Geschichte nicht kennt ...“ richtete sich dann Kurt Müller vom Betriebsrat der Bretag hauptsächlich gegen die sozialdemokratische Politik des „sowohl – als auch“, die sich von der Bewilligung der Kriegskredite 1914 bis in die Gegenwart fortgesetzt habe und heute die bekannten gesellschaftlichen Probleme – Sozialabbau, Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung von Randgruppen, Ausländerhaß usw. bei gleichzeitigen Rekordrenditen der Unternehmer – durch ihre lavierende Haltung noch verstärke – „Ihr kennt die Beispiele.“

Erfrischend wirkte schließlich die freie und ungekünstelte Ansprache Mathias Hirschers von der Gesamtschülervertretung (GSV), der zwar durchgängig „den“ Räten im Dativ gedachte und vielleicht besser nicht beklagen sollte, daß man die Schülerräte, die es auch gegeben habe, „leider nicht bewaffnen konnte“, der aber ganz richtig vor allem nach der „bleibenden Botschaft“ der kurzlebigen Räterepublik fragte, die er im „Kampf um eine Alternative“ zur bloßen Stimmzetteldemokratie erkannte: „Wichtig ist: sie haben sich was Neues ausgedacht.“ M.N.