■ Vorschlag
: Kunstvolles Arschkriechen mit Alphons Silbermann in der „Bar“

Bei dem Wort Lesung schwingt meist ein Hauch von Langeweile mit, weshalb Buchpräsentationen immer häufiger mit einem besonderen Star-Appeal daherkommen. In diesem Sinne geht man heute abend in der „Bar jeder Vernunft“ auf Sendung. Die Talk-Show zum Buch: Der neue Hauptstadt-Kritiker Hellmuth Karasek unterhält sich mit dem Soziologen, Kommunikationswissenschaftler und Tausendsassa Alphons Silbermann über die „Kunst der Arschkriecherei“. Das verspricht mehr als die Abkanzelung einer übel beleumundeten Interaktionsweise. Alphons Silbermann verdankt ihr wohl mehrfach sein Leben.

Seine Biographie gleicht einem üppigen Filmstoff. 1909 in Köln geboren, trieb es den schwulen Juden, der 1933 über Holland und Paris nach Australien emigrierte, in zahlreiche Jobs und Professionen. Alphons Silbermann war Jurist, Drucker, Kellner und Kritiker. In Paris stellte er Spielautomaten auf, verkaufte Waffeln und verteilte als Monsieur „Alphonse“ Animierkärtchen für einen Puff. Als 40jähriger machte er ein Vermögen mit einer Hamburger-Kette, die es ihm, der ursprünglich Dirigent werden wollte, ermöglichte, sich als Quereinsteiger der Musiksoziologie zu widmen. Zurück in Deutschland, stritt er mit keinem geringeren als Adorno um ein gesellschaftliches Verständnis von der Musik.

In verschiedenen Professuren in Lausanne, Bordeaux und Köln widmete sich der wissenschaftliche Außenseiter und Experimenteur zunehmend Alltagsfragen. 1991 untersuchte er die Wohnverhältnisse der Deutschen und stellte weniger einen Trend zur Designerbemöbelung fest, als eine zweckmäßige Ausstattung mit Sitzgruppe, Couch und Bücherregal. Das Wohnen, so Silbermann, sei der Bürger wichtigstes „Bequemlichkeitsutensil“. Von der räumlichen Behausung zur seelischen ist es da wohl nur ein kurzer Schritt. Zuletzt schrieb Silbermann über „Die Kunst, mit Vorurteilen zu leben“ sowie über „Das Geschäft mit den Ängsten“. Zuletzt folgten Ausführungen über die „Kunst des Arschkriechens“ (Rowohlt Berlin, 1996). Lüge, Opportunismus, Heuchelei, Intrige etc. zählen, obwohl sie als Alltagsstrategien sehr gebräuchlich sind, zu den verschmähten Untugenden. Silbermann macht sich mit einer literarisch-philosophischen Annäherung an deren soziologische Klassifikation. Das sollte gerade auf der Showbühne mit einem kameraerfahrenen Moderator, dem kaum eine menschliche Regung fremd ist, nicht ohne Reiz sein. Harry Nutt

20.30 Uhr in der Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Wilmersdorf