Vom Tempo berauscht

Abonnementmeister Oliver Pongratz steht für den Aufschwung der jungen Breitenboomsportart Badminton  ■ Von Jörg Winterfeldt

Hannover (taz) – Vor seinem Spiel gegen den viermaligen deutschen Meister Oliver Pongratz plagte den Münchner Arno Glompner das Gemüt heftig. „Ich als alter Sack“, sagt Glompner (28), „hatte so richtig die Hosen voll.“ Der derzeit diplomierende Geograph spielt in der zweiten Bundesliga in Augsburg, der Gegner Pongratz (23) unter den besten 50 der Welt und in Deutschland derzeit außer Konkurrenz.

Die beiden kennen sich gut. Vor zehn Jahren als Jugend-Nationalspieler hat Glompner gelegentlich mit dem kleinen Pongratz trainiert. In diesen Tagen benötigt der Ausnahmespieler gerade einmal zehn Minuten für zwei Sätze gegen den Spezi von einst. Einen Punkt läßt er ihn gewinnen – und vom Tempo berauscht zurück. „Der“, schwärmte der Gedemütigte, „spielt zwei, drei Geschwindigkeitsstufen höher als ich.“

Seit 1993 holt der Langenfelder Pongratz regelmäßig den deutschen Titel. Auch sein langjähriger Widersacher und Final-Gegner Detlef Poste ist angetan von „der Speed in der Beinarbeit“ und dem „Druck, den er mit seinen Schlägen macht“. „Damit“, weiß der Kölner Sportstudent Poste (30) „zockt er mich ab.“ 15:7, 15:2 - länger als 35 Minuten dauerte es gestern nicht.

Dennoch nähert sich der nationalen Einmann-Elite allmählich ein breites Heer von unten. Noch im Halbfinale mußten Pongratz und Poste die Angriffe der Nachwuchsspieler Björn Decker und Mike Joppien abwehren.„Wahnsinn“, staunte selbst der Bundestrainer Flemming Wiberg, „wie die jungen Spieler hier durchkommen.“ Vor vier Jahren ist der Däne beim Deutschen Badminton Verband eingestiegen und hat die Strukturen gänzlich umgestellt. „Früher“, referiert Wiberg, „haben hier alle nur auf die Ergebnisse geachtet; dadurch waren viele junge Spieler sehr blockiert.“ Heute arbeitet er prozeßorientiert, indem er den Nachwuchs nach den Bewegungsabläufen und der Einstellung beurteilt. Die Spieler preisen den Dänen für seine Methoden. „Damals“, sagte Poste, „waren wir fit im Spiel, aber dumm.“ Im Mai bei der WM in Glasgow möchte Wiberg mit seinem Team unter die besten zehn der Welt kommen.

Damit darf der Verband hoffen, bald in der Spitze den Lorbeer zu ernten, den ihm die Olympiaisierung der Sportart 1992 und der anschließende Boom in der Breite vorbereiteten. 1993 setzte die Industrie erstmals mehr Badminton- als Tennisschläger ab, seither haben viele kommerzielle Center einen Tenniscourt in vier Badmintonfelder verwandelt, weil sich so mehr Geld bequemer scheffeln läßt. Während die Zahl der organisierten Spieler im Verband inzwischen bei 170.000 stagniert, wird die Freizeitsportler-Meute auf zwei bis fünf Millionen Aktive geschätzt.

Wie im Tischtennis oder Volleyball kümmern die sich allerdings nicht unbedingt um das Treiben ihrer Spitzenkräfte. Die Ränge liefern familiäres Ambiente. Die Sportler hocken dort mit ihren Eltern, Trainern und einigen Interessierten mit Kaffee und selbstgebackenem Kuchen. Auch in der Bundesliga bieten die Vergleiche zuweilen ein trauriges Bild: In Uerdingen verlaufen sich zu manchen Spielen nicht mehr als zehn Besucher in der Halle, in Berlin beim Liga-Krösus und Tabellenführer etwa 400, obwohl die Liga mit vielen ausländischen Spitzenspielern als stärkste der Welt gilt.

Die Badminton-Asse leiden zudem unter der Rarität und mangelhaften Qualität der Fernsehübertragungen. „Wenn ich Tennis mit einer Kamera vom Boden filme“, schwant es Poste, „ist das Spiel auch nicht mehr so spannend.“ Weil sie an der Telegenität zweifeln, reagieren Sponsoren zurückhaltend gegenüber dem High- Tech-Sport, branchenfremde Geldgeber sind selten.

Größter Förderer ist die Bundeswehr, die in Absprache mit Wiberg sechs Sportlern die Existenz sichert. Auch der Star Pongratz dient als Stabsunteroffizier, bei seiner Einheit ist er allerdings nur selten. Etwa 10.000 Mark verdienen Spieler wie er oder das Mixed-As Michael Keck mit Sold und Sponsor-Geld inzwischen pro Monat. „Zu meiner Zeit“, hadert der Veteran Glompner, „war die Kommerzialisierung noch nicht soweit, daß man Profi werden konnte.“