Den ökologischen Preis zahlen zukünftige Generationen

■ betr.: „Der Selbstbetrug der Wohl meinenden“ (Viele Grüne wollen gern Regierung und Opposition sein), taz vom 27. 1. 97

Walter Jakobs hat ja so recht: Wer sich als Juniorpartner in eine Koalitionsregierung begibt, kommt darin um. Härter als jede grüne Utopie sind die Daumenschrauben des Kompromisses und des alltäglichen Sachzwangs. Die Frage ist bloß: Was ist Sachzwang, und wohin führt er uns?

Der vielbeschworene Gegensatz „Opposition“ auf der einen Seite, sprich Basisorientiertheit, „grüne Visionen“, reine Lehre – und „Regierungsalltag“ auf der anderen Seite, sprich „Verrat“ von Positionen, Beschwörung des „Machbaren“, der allfälligen Verluste an Arbeitsplätzen, Einkommen, Vertrauen in die Demokratie – ist nur scheinbar unüberwindbar. Die grüne Drohung „nicht unter diesen Bedingungen“ oder „dann lieber richtig Opposition“ gibt immerhin dem potientiellen Regierungspartner die Gelegenheit, sich gründlich mit gesellschaftlichen und ökologischen Alternativen zu befassen, die die Grünen sich wahrlich nicht als Drohmasse gegen die SPD ausgedacht haben. Diese Alternativen sind – man lese zum Beispiel die Resolutionen der diversen Klimakonferenzen – weit zwingender als jeder Regierungskompromiß. Den Gefahren der Treibhausgase kann nicht anders als durch Reduktion des CO2-Ausstoßes, zum Beispiel durch Verzicht auf Auto oder Flugzeug, begegnet werden. Wenn CO2-Reduktion eine Notwendigkeit ist – und niemand wird das ernsthaft bestreiten –, ist dieser Verzicht mit allen Konsequenzen gleichermaßen zwingend. Droht bei Hochwasser der Damm erkennbar zu brechen, muß sofort evakuiert werden, egal ob im Dorf hinter dem Deich noch Kirmes ist. Sollte der Schaustellerverband dabei auch fest verplantes Geld verlieren, so soll er wenigstens froh sein, wenn selbst harte Evakuierungsmaßnahmen am Ende Leben rettet.

Jakobs Beispiel des Düsseldorfer Flughafens zeigt, daß er sich der akuten klimatischen Problemlage nicht wirklich bewußt ist. Anstatt in SPD-Manier mit beschäftigungspolitischen Konsequenzen eines Nichtbaus der Landebahn zu drohen, sollte er sich lieber mit den Klimagefahren auseinandersetzen, die unser fröhlich-unbekümmerter „Kirmes“-Tanz heraufbeschwört. Arbeitsplatzverlust ist hier kein Argument: Gefährdet nicht auch derjenige, der die Mafia erfolgreich bekämpft, am Ende Arbeitsplätze in den Gefängnissen, bei der Polizei, in der Sicherheitsindustrie? Will man deswegen den Kampf gegen die Maifa aufgeben? Und wer dem Rat seiner Ärzte folgt und das Rauchen aufgibt, „gefährdet“ der nicht etwa auch die Arbeitsplätze auf der Krebsstation?

Vollends albern und phantasielos ist Jakobs Hinweis, wer nicht in Düsseldorf seinen Langstreckenjumbo besteigen kann, wird dann „lieber mit dem Auto nach Amsterdam fahren, um von dort aus nonstop zu fliegen“. Der umweltpolitisch nicht zu tolerierenden „Alternative“ Auto muß die Attraktivitätssteigerung der Bahn entgegengesetzt werden – auf diese beschäftigungs- und klimarelevante Alternative muß sich grüne Politik orientieren, nicht auf falsche Kompromisse mit den wirklichen Sachzwängen.

Es ist doch nicht so, daß das Festhalten an wohlfundierten grünen Grundsätzen zugleich der Verlust an Politik- und Realitätstüchtigkeit bedeutet. Nur Ignoranz, schleichender Verlust an politischer Phantasie und Blindheit gegenüber klar benannten Bedrohungen sind wirklich gefährlich. Das goldene Kalb Realität ist nur eine Chimäre und ein Faustpfand koalitionshungriger Erpresser. Sonst werden wir eines Tages ohnmächtig zusehen müssen, wie, um ein Bild zu wählen, alle Wälder dem Auto- und Landebahnbau zum Opfer fallen, bis nur noch zwei Bäume stehenbleiben. In Koalitionsverhandlungen dürfen die Grünen dann anschließend der SPD mit Getöse einen Zaun um diese Bäume abtrotzen, einen Umweltbeauftragten davorstellen und das ganze schließlich als „realistische Umwelt- und weitsichtige Arbeitsmarktpolitik“ verkaufen. Der so geschaffene Arbeitsplatz mag das gute Gewissen der Koalition beruhigen – den ökologischen Preis aber zahlen künftige Generationen. Paul Nellen,

Mitglied der GAL Hamburg

[...] Die Begründung von Herrn Jakobs ist exakt analog zu der geradlinigen Schlußfolgerung der Leute, die meinen, mehr Straßen würden die Umwelt schonen, weil dann die zu fahrenden Strecken kürzer seien. Diese Folgerung ist Unfug, weil ein Autofahrer, der morgen noch mehr und noch „bessere Straßen angeboten bekommt, übermorgen eben noch mehr fahren wird. [...]

Wenn die Menschen in 100 Jahren immer noch so naiv und ahnungslos sind wie Herr Jakobs (und die übrigen fünf Milliarden Menschen) und überhaupt noch existieren, dann kann ich es mir gut vorstellen: dann hat (fast) jeder seinen Privathubschrauber und fliegt im Urlaub zum Mond. „Verzichten“ kann und will darauf natürlich immer noch keiner (mit den alten, abgelatschten Scheinargumenten) – dann verzichtet man lieber auf menschenwürdiges Leben in einer intakten Umwelt. Wenn man also heute nicht sagt: „Bis hierher und nicht weiter!“, wann dann? Klaus Buggisch, Karlsruhe