Der Zwang zum Kind

Der psychische Druck ist enorm, wenn der Kinderwunsch nicht in Erfüllung geht  ■ Von Karin Bundschuh

Inge Kirchner* will ein Kind. Sie ist bereit, alles menschenmögliche zu tun, damit sie endlich schwanger wird. 14 Jahre lang jagt sie sich selbst von einer Kinderwunschbehandlung zur nächsten. Bis irgendwann auch die Reproduktionsmediziner keinen Rat mehr wissen und auf einmal klar ist: Inge Kirchner muß sich mit einem Leben ohne Kind abfinden.

Inge Kirchner ist eine von 76 Frauen, die bereit waren, mit den Politologinnen Monika Fränznick und Karin Wieners über ihre ungewollte Kinderlosigkeit zu sprechen. Die beiden Wissenschaftlerinnen haben die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit, der sie sich an der Freien Universität Berlin widmeten, in dem Buch „Ungewollte Kinderlosigkeit“ veröffentlicht. Fränznick und Wieners beleuchten in ihrer Studie vor allem die psychosozialen Folgen der ungewollten Kinderlosigkeit, mit denen sich die Paare meist alleine herumquälen. Die Studie zeigt, daß sich meist alles nur darum dreht, den widerborstigen, scheinbar nicht funktionierenden Körper auf Trapp zu bringen. Viele Frauen suchen Hilfe fast ausschließlich in der Medizin. Die beiden Autorinnen stellen zwar nicht in Abrede, daß es „sinnvoll und richtig sein kann“, sich mit dem Problem „ungewollte Kinderlosigkeit“ an Ärzte zu wenden. Sie hinterfragen jedoch die Selbstverständlichkeit, mit der sich nahezu alle ihrer Gesprächspartnerinnen in medizinische Behandlung begeben haben.

Was eine Frau für eine Schwangerschaft alles in Kauf nimmt, zeigt die Kinderwunsch-Karriere von Inge Kirchner besonders deutlich. „Ich dachte: Mal wirst du das schon schaffen“, erzählt sie im Interview mit Fränznick und Wieners. Die heute 35jährige unterzieht sich mehreren Hormonbehandlungen, um ihre Endometriose in den Griff zu bekommen. Die könnte einer Schwangerschaft nämlich im Weg stehen. Bei der Endometriose finden sich versprengte Stücke der Gebärmutterschleimhaut in den Eierstöcken, im Eileiter, in der Blase oder in der Bauchhöhle. Zysten, Verklebungen, schmerzhafte Regelblutungen und ein ebensolcher Geschlechtsverkehr quälen die Patientin dann häufig. Um den Erfolg der Hormonbehandlungen zu prüfen, nimmt Inge Kirchner sechs Bauchspiegelungen auf sich. Da die ersehnte Schangerschaft trotzdem ausbleibt, läßt sie elf Inseminationen vornehmen. Dabei wird der männliche Samen mit einer Kanüle oder anderen Hilfsmitteln in die Nähe des Muttermundes gebracht. Der Weg, den das Sperma normalerweise zurücklegen müßte, um die Eizelle zu erreichen, wird bei einer Insemination verkürzt. Zwei In-vitro-Fertilisationen (IvF), also Befruchtungen im Reagenzglas, und mehrere Hormonbehandlungen blieben ebenfalls erfolglos. Es verwundert wenig, daß sich Inge Kirchner „mit 30 rein körperlich schon wie 40 oder 50 gefühlt“ hat. Sowohl Hormonbehandlungen als auch IvF können den Organismus sehr belasten und sind nicht unumstritten. Zumal bei einer IvF die Erfolgsquote nur bei sechs, wie Skeptikerinnen behaupten, und zwischen 15 und 20 Prozent liegt, wie ein Berliner Gynäkologe berichtet.

Hormonbehandlung, IvF und Insemination bergen nicht nur ein körperliches Risiko, sondern bedeuten auch psychischen Streß. Der Erfolg der Behandlungen wird durch regelmäßige, manchmal tägliche Ultraschalluntersuchungen und Hormonbestimmungen kontrolliert. Viele der befragten Frauen beklagen, daß sie dadurch andauernd mit ihrer ungewollten Kinderlosigkeit konfrontiert sind.

Doch trotz aller Belastungen, manchmal sogar Widerwillen gegen die Behandlungen, beginnt nicht nur Inge Kirchner nach jedem Fehlversuch wieder eine neue Therapie. Die Gründe sind vielfältig, die die beiden Politologinnen für das Verharren in der Medizin ausmachen. Viele Frauen glauben, alles versuchen zu müssen, da sie andernfalls Schuldgefühle – gegenüber wem auch immer – fürchten. Andere glauben ihrer Umwelt beweisen zu müssen, daß sie weder kalt noch karrierefixiert sind und tatsächlich ein Kind wollen.

Wozu das führen kann, zeigt die Lebensgeschichte von Susanne Sternbeck*. Die inzwischen 26jährige kann sich dem drängenden Wunsch der Eltern und Schwiegereltern nach einem Enkel nicht widersetzen. Konfrontiert mit Bemerkungen, wie „ihr stellt euch wohl zu dumm an“, willigt sie innerhalb von fünf Jahren in mehrere Hormonbehandlungen, Bauch- und Gebärmutterspiegelungen sowie zwei IvF ein. Sie erlebt die Behandlungen geradezu als Verpflichtung. Nach der ersten mißglückten IvF habe sie „dem ganzen Tag dagesessen und habe nur wie wahnsinnig geheult“. Dennoch wartet sie nur den nächsten Zyklus ab, um wieder ins Krankenhaus zu gehen. Dort beginnt die „ganze Prozedur“ von vorne. Daß Susanne Sternbeck mittlerweile 15 Kilogramm abgenommen hat, scheint nicht zu interessieren. Das Ende der Kinderwunschbehandlung ist erst möglich, als ihre Schwiegermutter in einer Fernsehsendung erfährt, mit welchen Risiken eine IvF behaftet sein kann.

Viele Frauen halten auch deshalb an der Medizin fest, um nicht nachdenken zu müssen. Es fällt ihnen schwer oder es ist ihnen sogar unmöglich, sich ein Leben ohne Kind vorzustellen. Es schmerzt zu sehr, daß sich der Lebensentwurf nicht erfüllt, auf den sie oft jahrelang hingearbeitet haben. Zu sehr, so zeigen die Wissenschaftlerinnen auf, ist die Mutterschaft in der Gesellschaft immer noch mit dem Frausein verbunden. So zweifeln denn auch einige der interviewten Frauen an ihrer Weiblichkeit, nur weil ein Kind fehlt.

Mit dieser Perspektive muß sich Inge Kirchner nun abfinden. Ihre letzte Endometriose ist zwar abgeheilt, doch inzwischen sind ihre Eileiter verklebt. Sie könnte nur noch durch eine IvF schanger werden. Die dafür nötige Hormonbehandlung birgt jedoch die Gefahr, daß die Endometriose wieder aufbricht. Und dieses Risiko will Inge Kirchner nicht mehr eingehen. „Vielleicht kann ich jetzt – ich muß sogar – irgendwie anfangen, mir mein Leben anders einzurichten. Es geht mir nur schwer von den Lippen, aber ein bißchen Erleichterung ist da.“ Die beiden Autorinnen sehen für Inge Kirchner nun die Möglichkeit, einen Verlust „zu akzeptieren, Trauer zuzulassen und das Leiden zu bewältigen“.

Monika Fränznick, Karin Wieners: „Ungewollte Kinderlosigkeit“. Juventa Verlag, 1996, 28 DM

*Name von der Red. geändert