Der familienfreundliche Betrieb

Nach amerikanischem Vorbild soll jetzt auch in Deutschland ein „Familienaudit“ geschaffen werden: Gibt es einen Frauenförderplan? Arbeiten auch männliche Führungskräfte Teilzeit?  ■ Aus München Felix Berth

Christian Lorenz, Personalchef der Schuhfirma Reno, hat einen dicken Fragebogen auf seinem Schreibtisch liegen. Zweihundert Antworten soll er geben, damit deutlich wird, wie familienfreundlich sein Unternehmen ist. „Gibt es einen Frauenförderplan?“, lautet eine der Fragen, „Gibt es Teilzeitstellen auch für Führungskräfte?“ oder „Nutzen auch Männer flexible Arbeitszeiten?“. Am Ende dieser langen Liste kann Lorenz an einem Wert ablesen, wie viele von 3.500 möglichen Punkten seine Firma erreicht hat.

Vorgestellt wurde der Fragebogen mit dem Titel „Audit Beruf und Familie“ Ende vergangener Woche in München, und der erste Eindruck des Zuhörers Lorenz war positiv: „Man bekommt nicht nur eine Punktzahl, sondern auch viele Anregungen, wo noch etwas zu verbessern wäre.“ Verfaßt wurde der Fragebogen nicht von einer staatlichen Institution, sondern von der privaten Firma „Neue Wege für die Arbeitswelt“ im Rahmen eines Millionenprojekts, das die Gemeinnützige Hertie-Stiftung fördert.

Das Vorbild für Projekt und Fragebogen stammt aus den USA. Mit dem „family-friendly-index“ wird dort bereits seit den achtziger Jahren erfaßt, wie sehr ein Unternehmen Rücksicht auf die Wünsche seiner Mitarbeiter nimmt (Beitrag unten). Wie in den USA soll das Instrument auch hier zunächst in Großbetrieben eingesetzt werden. Noch in den nächsten Monaten, so hoffen die Organisatoren, sollen sich fünfzig Unternehmen beteiligen und einstufen lassen; Mitte 1997 könnten die ersten Auswertungen fertig sein.

Manche Firmen wie zum Beispiel der Schuhhändler Reno oder der Siemens-Konzern haben bereits Interesse bekundet – obwohl es bei den Firmenvorständen oft Einwände gegen solchen „Sozialklimbim“ gibt. Deshalb argumentiert Gisela Erler, die das deutsche „Audit Beruf und Familie“ mitkonzipiert hat, vor allem mit dem wirtschaftlichen Interesse eines Unternehmens: „Daß die Mitarbeiter etwas von solchen Projekten und Maßnahmen haben, ist nur ein mittelbarer Effekt. Für das Unternehmen ist primär eine Überlegung wichtig: Wenn die Mitarbeiter zufrieden sind, steigt die Produktivität.“

Dabei müsse das Audit allerdings deutlich machen, daß ein familienfreundlicher Betrieb mehr bieten muß als Einzelmaßnahmen für Mütter mit kleinen Kindern: „Es geht letztlich darum, eine moderne Familie lebbar zu machen – also auch darum, Männern eine andere Rolle in den Familien zu ermöglichen“, sagt Gisela Erler. Das scheitert allerdings in vielen Fällen spätestens am Widerstand der Vorgesetzten: „Viele Männer, die vielleicht Teilzeit arbeiten möchten, hören dazu von ihren Chefs oft nur ein klares Nein.“

Selbst die Tatsache, daß Teilzeit-Alternativen mittlerweile in vielen Betriebsvereinbarungen geregelt sind, ändert am Alltag wenig: „Was auf dem Papier steht, drückt oft nicht aus, was in einer Firma tatsächlich praktiziert wird“, bilanziert Brigitte Zeier, Sozialarbeiterin beim Siemens-Konzern. Also versucht das „Audit Beruf und Familie“, nicht die theoretischen Möglichkeiten zu beschreiben, sondern auf den tatsächlichen Alltag zu achten. Deshalb wird zum Beispiel detailliert gefragt, in welchem Ausmaß Männer welche Angebote annehmen oder ob auch Führungskräfte die flexiblen Möglichkeiten nutzen.

Noch fehlt dem Familienaudit der offizielle Segen einer staatlichen Institution. „Wir hoffen allerdings, daß sich ein öffentlicher Träger findet, der das Audit weiterentwickelt“, sagt Gisela Wilms von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Sollte dies gelingen, warten immer noch Fragen, die die Macherinnen des Audits bisher nicht beantwortet haben, um das kleine Projekt nicht zu überfrachten.

So ist zum Beispiel noch unklar, ob der Fragebogen tatsächlich verwendet wird, um eine nationale Hitliste der familienfreundlichen Betriebe festzulegen. „Das wäre für manche Unternehmen nicht gerecht. Denn daß eine Bank mehr für ihre hochbezahlten Angestellten tut als ein Niedriglohnbetrieb, ist logisch: Die Bank hat ein viel größeres Interesse, ihre qualifizierten Mitarbeiterinnen nicht zu verlieren“, sagt Gisela Erler. In den USA wurde der „family-friendly- index“ deshalb nur ein einziges Mal für eine landesweite Bestenliste genutzt. Seitdem vergleichen sich vor allem die Unternehmen einer Branche miteinander.