Nord-Korea belegt seinen Hunger mit Zahlen

■ Pjöngjang bittet weltweit um Hilfe, doch politische Konzessionen bleiben aus

Tokio (taz) – Seit dem Atompakt zwischen Nord-Korea und den Vereinigten Staaten, der 1994 den nordkoreanischen Verzicht auf Atomwaffen gegen die Lieferung westlicher Atomkraftwerke an Pjöngjang besiegelte, tickt die koreanische Zeitbombe gefährlich leise.

So kommt es, daß Warnungen wie diese leicht überhört werden: Gestern meldete die amtliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA erstmals Zahlen über den Nahrungsmittelnotstand in dem bereits seit dem Jahr 1945 stalinistisch regierten Land. Demnach droht sich die Hungersnot in Nord-Korea in diesem Jahr auf dramatische Weise auszuweiten. Die Staatsführung in Pjöngjang bittet deshalb weltweit um Nahrungsmittelhilfen für das hungernde Land.

Die Angaben der KCNA, die mit unabhängigen Schätzungen des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) übereinstimmen, deuten auf Mißwirtschaft und Mißernten: Nur 2,5 Millionen Tonnen Getreide bei einem Nahrungsmittelbedarf von 4,8 Millionen Tonnen seien im vergangenen Jahr geerntet worden. Folglich fehlen dem Land 2,3 Millionen Tonnen Lebensmittel, von denen bisher niemand weiß, woher sie kommen sollen. Erst in der vergangenen Woche scheiterte eine 500.000-Tonnen-Lebensmittellieferung an der fehlenden Versicherungsgarantie der US-Regierung Bill Clintons.

Die Skepsis im Umgang mit den nordkoreanischen Lebensmittelforderungen hat freilich ihren Grund. Denn die Herrschenden in Pjöngjang machen politisch weiter wie bisher: Millionen ungestopfter Mäuler dienen nun als diplomatisches Druckmittel, mit dem Friedensgespräche hinausgezögert werden.

So sagte die nordkoreanische Regierung die für Mittwoch in New York geplanten Gespräche mit den Vereinigten Staaten und Süd-Korea ab – man hätte aufgrund der Hungersnot schließlich dringendere Sorgen. In Süd-Korea ist man zudem über die Übereinkunft des Nordens, taiwanesischen Atommüll zu lagern, verärgert und sieht damit den Atompakt von 1994 gefährdet. Auch hier aber macht Pjöngjang seine derzeitige Notlage geltend, die es erfordere, alle möglichen Einnahmequellen des Landes inklusive der Atommüllagerung auszuschöpfen.

Im Endeffekt sind erneut alle Verhandlungen blockiert, die Lage der Menschen auf der Halbinsel verschlechtert sich, und die Zeitbombe tickt leise weiter vor sich hin. Wer die koreanische Protestkultur in den letzten Wochen auf dem südlichen Teil der Halbinsel beobachtet hat, kann jetzt ahnen, welches explosive soziale Gemisch sich im Norden zusammenbraut. Georg Blume