Froh, daß endlich was passiert

■ Ab und zu schaut ein Polizist vorbei: Die friedliche Besetzung der Traditionsklinik auf dem Kiez

Den alten Mann haben sie in seinem Bett auf den Stationsflur geschoben. Der weißhaarige Kranke freut sich über die kleine Abwechslung im Tagesablauf. „Hafenkrankenhaus bleibt“, krächzt der Mittsiebziger, als der ärztliche Direktor des Hauses, Hartmut Seidel, vorbeikommt. Da der bettlägrige Herr schlecht hört, versteht er weder die Antwort Seidels noch kann er sich einen Reim auf die plötzliche Aufregung machen.

Der sonst so bedächtige Chirurg hat es eilig. Rund einhundert St. PaulianerInnen halten seit Montagabend die Traditionsklinik besetzt. Während die PatientInnen in der Raucherecke das Vorabendprogramm im Fernsehen verfolgen, werden vorn an der Pförtnerloge eilig Transparente entrollt. Eine Gruppe der BesetzerInnen hat sich auf Station D eingerichtet, deren Schließung vor zwei Wochen das Ende des Hafenkrankenhauses einläuten sollte. „Ich bin gegen den Sozialabbau“, so ein Besetzer, der im Info-Zelt vor dem Tor die NachbarInnen aus dem Viertel begrüßt und Spenden entgegennimmt.

Die Initiative „Ein Stadtteil steht auf“ fordert den Erhalt der Klinik, einem lebendigen Stück St. Pauli, das die Menschen sich nicht nehmen lassen wollen. „Keine Schürfwundenambulanz am Nobistor“, lautete ihre Devise, bevor der Senat den ursprünglich geplanten Standort der neuen Notfallambulanz gestern nachmittag fallenließ. „Voscherau hat den Rückzug angetreten“, freute sich Frank Eyssen, Sprecher der Besetzer-Initiative. „Der Senat muß sich den sozialen Notwendigkeiten stellen, wir wollen keine Spekulantengeier.“

Viele PatientInnen haben erst durch das Pflegepersonal von der Besetzung erfahren. „Unsere Station liegt genau über dem besetzten Flur, aber niemand hat etwas mitbekommen“, beschreibt Schwester Andrea den nächtlichen Einzug der HafenkrankenhausunterstützerIn-nen. Wie ihre Kolleginnen Monika und Sabine sind sie nach dem wochenlangen Frust über die bevorstehende Schließung der Klinik erleichtert, daß endlich etwas passiert. Offiziell dürfen sie sich als Beschäftigte nicht an der Besetzung beteiligen, obwohl selbst die Innenbehörde inzwischen mehr von einem Arbeitskampf als von einer Besetzung auf dem Gelände am Zirkusweg ausgeht.

Dennoch hat der Landesbetrieb (LBK) als Träger des Krankenhauses verfügt, daß die Klinik von den Rettungswagen der Feuerwehr vorerst nicht mehr angefahren und keine Neuaufnahmen mehr angenommen werden. Von einer Verlegung der letzten 103 PatientInnen hat der LBK jedoch abgesehen.

Das Klinikdirektorium signalisierte den BesetzerInnen gestern, daß zunächst keine Schritte gegen sie unternommen werden sollen. Ein einziger Polizeibeamter schaut gelegentlich am Zirkusweg vorbei und unterhält sich mit den Mitgliedern der Initiative. Der ärztliche Direktor Hartmut Seidel hat seinen „Gästen“ allerdings klar gesagt, daß er die Besetzung für den falschen Weg halte. „Eines steht fest: Das, was hier war, wird hier nie mehr sein“, sagte Seidel den „Gästen“ quasi zur Begrüßung. Dessenungeachtet hat ein Krankenpfleger im OP des Chirurgen ein frisch gepinseltes Transparent aufgehängt. Lisa Schönemann

Siehe auch Tagesthema Seite 3