"Liebe taz..." PsychologInnen abhängig - betr.: "150 PsychologInnen vor dem Aus", taz vom 27.1.1997

Betr.: „150 PsychlogInnen vor dem Aus“, taz vom 27.01.1997

Dieser Artikel, der ein Licht auf die Arbeitssituation vieler PsychotherapeutInnen wirft, spricht mir aus der Seele. Ich möchte ergänzend auf den unerträglichen Zustand der Abhängigkeit eines ganzen Berufsstandes von einem anderen hinweisen. Das zur Zeit geltende Kassenrecht entspricht der Reichsversicherungsordnung (1912). Diese schreibt ein ärztliches Behandlungsmonopol fest, unter das auch die psychotherapeutische Behandlung fällt. Nach Festsetzung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sind als psychotherapeutische Verfahren nur die Psychoanalyse und die Verhaltenstherapie anerkannt. PsychologInnen kämpfen seit 20 Jahren für ein Psychotherapeutengesetz, welches die Eigenständigkeit des Berufsstandes gewährleisten kann. Das dieses Gesetz im vergangenen Jahr wieder nicht verabschiedet wurde, ist nur mit dem Vorteil an Macht und finanziellen Interessen zu erklären, die die KV aus der Beibehaltung dieses Zustandes zieht.

Die Krankenkassen, die sich unter der Last der zunehmenden Kosten für Psychotherapien im Oktober an die KV warnten, was zu der Herausnahme der PsychologInnen im Kostenerstattungsverfahren aus dem Versorgungssystem führte, sollten sich folgende Überlegungen vor Augen halten:

Die Einsparungsvorgaben werden derzeit auf dem Rücken derjenigen PatientInnen ausgetragen, die aufgrund ihrer psychisch instabilen Befindlichkeit nicht in der Lage sind, den langwierigen und mit Wartezeiten, etlichen Vorgesprächen bei verschiedenen BehandlerInnen und Weiterverweisungen übersäten Weg auf sich zu nehmen.

Der Aus- und Weiterbildungsstandard vieler nichtärztlicher PsychotherapeutInnen, die jetzt existentiell bedroht sind, ist von ausgesprochen hoher Qualität. Kein Berufsstand ist so intensiv und regelmäßig fortgebildet und unterwirft die eigene Arbeit so vielen Kontrollen, wie PsychotherapeutInnen.

Die Kosteneinsparungsmaßnahme ist insofern zu kurz gedacht, als die Folgekosten einer nicht rechtzeitig behandelten psychischen Krankheit weit höher sind, als die jetzt vermiedenen Kosten für eine Psychotherapie.

Angela Timm, Dipl.Psych, Frauentherapiezentrum Bremen.