Erst abschieben, dann bedauern

■ Innenverwaltung spricht nach illegaler Abschiebung von "bedauerlichem Vorfall". Der Anwalt fordert die Wiedereinreise des in Berlin geborenen 22jährigen Türken

Nach der unrechtmäßigen Abschiebung eines 22jährigen Türken nach Istanbul am vergangenen Wochenende (die taz berichtete gestern) hält sich die Innenverwaltung bedeckt, wie es zu diesem Skandal kommen konnte. Sprecherin Françine Jobatey sprach lediglich von einem „bedauerlichen Vorfall“ und „individuellem Fehlverhalten“. Details, warum der in Berlin geborene Türke trotz eines gegenteiligen Gerichtsbeschlusses des Oberverwaltungsgerichts (OVG) abgeschoben wurde, wollte sie nicht nennen.

Tamer F. hatte eine Haftstrafe in der Jugendstrafanstalt Plötzensee abgesessen und sollte deshalb ausgewiesen werden. Das OVG entschied am Freitag vergangener Woche jedoch, daß Tamer F. bis zu einer endgültigen Klärung seines Falles nicht abgeschoben werden dürfe. Daraufhin informierten sowohl das OVG als auch F.s Rechtsanwalt per Fax den sogenannten „Notdienst“ der Ausländerbehörde, der eigens für Ausländerbelange außerhalb der Dienstzeiten eingerichtet ist, sowie die Haftanstalt Plötzensee. F. wurde am Sonnabend trotzdem ausgeflogen.

Jobatey bestätigte, daß die MitarbeiterInnen der Behörden nach dem Beschluß des OVG tatsächlich informiert wurden: „Es waren alle da.“ Jedoch handele es sich nicht um „organisatorische Mängel“ in der Ausländerbehörde, sondern um einen „Einzelfall“. Als Konsequenz kündigte sie an, daß „die Schulung“ der Mitarbeiter der betroffenen Behörden „wiederholt“ würde: „Sie werden angewiesen, was ihre Aufgaben sind.“

Der ausländerpolitische Sprecher der SPD, Eckhardt Barthel, sprach dagegen von einer „schlimmen organisatorischen Panne“, die nicht einer Einzelperson zuzurechnen sei: „Wozu wird denn dann überhaupt ein Notdienst für solche Entscheidungen eingerichtet?“ Es handele sich, so Barthel, um ein „strukturelles“ Problem. Die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John, zeigte sich über die Abschiebung erstaunt: „Ein solcher Fall ist mir bisher nicht untergekommen.“ Sie forderte, daß der Vorfall „schnell“ und „ganz sorgfältig“ aufgeklärt werden müsse.

Tamer F.s Rechtsanwalt Peter Meyer hat sich mittlerweile an den Chef der Ausländerbehörde, Harald Bosch-Soleil, gewandt. In einem Brief fordert er, die Abschiebung „unverzüglich zu befristen“ und dem Generalinstitut in Istanbul mitzuteilen, Tamer F. umgehend ein Einreisevisum nach Deutschland zu bewilligen. Doch ob Tamer F. tatsächlich zurück nach Berlin kann, ist fraglich. Denn genausowenig wie die Innenverwaltung mit Details über die Abschiebung herausrückt, möchte sie etwas über eine mögliche Wiedereinreise mitteilen: „Wir werden klären, was mit Tamer F. passieren wird“, so der dürre Kommentar der Sprecherin.

Bereits im vergangenen Jahr gab es einen ähnlichen Fall – jedoch in umgekehrter Weise. Die Polizei konnte einen Rumänen nicht in Abschiebehaft bringen, weil ein Bereitschaftsrichter im Abschiebeknast Grünau bereits Dienstschluß gemacht hatte. Julia Naumann