Genaues Nahsehen

■ „Ein Viertel behauptet sich – die Spandauer Vorstadt“ (22.15 Uhr, B1)

Papierhäuser flattern im Wind, einzelne werden herausgerissen, hinter der Szene rast der Verkehr vorbei. Vertreter der Betroffenenvertretung der Spandauer Vorstadt, einem Altbauviertel in Berlin-Mitte haben ein Modell ihres Kiezes auf den Bürgersteig gestellt, um den Leuten zu zeigen wie ihr Viertel bald aussieht. Ein zerzaustes Stück Stadt, das einer heftigen Brise standzuhalten sucht. Eine andere Einstellung zeigt die Straßenzeile im Aufriß auf dem Computerbildschirm, es bedarf nur eines Mausklicks, um die Zukunft zu sehen.

Doch es geht nicht um dieses Viertel in Berlin, wo Menschen ihren Lebensraum zu sichern suchen, „es geht um ein Thema, das in Stuttgart oder Biberach genauso ansteht“, wie der Dokumentarfilmer Günther Jordan berichtet. Jordan war ein langes Jahr im Kiez unterwegs und hat seine Kamera in den Hinterhofidyllen, den Kreuzungen, den Stadtteilzentren postiert. Vor allem da. Nicht die alten Häuser, sondern die Menschen darin sind seine Protagonisten. Und das sind eben besonders jene, die für ihr Viertel kämpfen. In Berlin gibt es weitergehende Bürgerrechte bei Stadtsanierungen als anderswo – was den Hausbesetzern der Achtziger zu verdanken ist.

Doch heute, zeigt der Film, vollzieht sich der Kampf um soziale Stadterneuerung anders. Diesen Prozeß, ein Wust komplexer, kleinteiliger Konflikte, der so gräßliche Vokabeln wie „Milieuschutzverordnung“ und „Gestaltungssatzung“ hervorgebracht hat, versteht der Film als Erzählung zu vermitteln. Seine Bilder von Initiativen, Omas und Kleingewerbetreibenden kümmern sich um den Grund. Sie machen Hunger. Jordan sagt, es gehe darum, wie Handeln möglich ist – und er zeigt, warum.

Die neue Dokumentarreihe „Blickwechsel“ im SFB-Stadtfernsehen B1 erweist sich als idealer Ort für solch genaue Dokumentarstücke, die im eigentlichen Sinn Nah- nicht Fernsehen zeigen. Dabei kommt dem Sender die Standortnähe zu ehemaligen Defa-Dokumentarfilmern wie Jordan zugute, eine Kompetenzballung der sich viele mehr bedienen könnten. lm