Heurige Frühjahrskollektionen

■ Angenehm und lehrreich ist der Workshop der österreichischen Privatverlage: mal bibliophil, mal mit Gitarre

Ab und an kommt Michael Fischer vorbei auf seinen Reisen, die er als Vertreter für verschiedene österreichische Kleinverlage unternimmt, um einem allerlei Neuerscheinungen nahezubringen. Seine Freude an Büchern steckt an, auch in Zeiten, in denen man sich eigentlich gerade in winterlichen Übellaunigkeiten einrichten wollte.

Die werden ganz besonders entschieden verabschiedet, wenn der junge Verlagsverbindungsmann einen dann auch noch zum ARGE-Journalisten-Workshop nach Wien einlädt, der „heuer“, wie wir Österreicher so sagen, zum siebten Mal stattfand, drei Tage dauerte und am letzten Sonntag zu Ende ging.

1987 hatten 20 österreichische Kleinverlage die Arbeitsgemeinschaft österreichischer Privatverlage (ARGE) als ein Zweckbündnis gegründet, das in der konkurrenzbetonten deutschen Verlagsszene nur schwer vorstellbar ist. Die ARGE versucht, den großen und den staatlichen Verlagen (wie Residenz etwa) Paroli zu bieten, kooperiert vor allem im Marketing, hat Sitze in den einschlägigen Gremien und müht sich als eingetragener Verein recht erfolgreich um die in Österreich ohnehin reichlicher fließenden Subventionen. (Selbst die Kronen-Zeitung, also das österreichische Pendant zur BILD-Zeitung, bekommt staatliche Gelder.) Jeweils einmal im Jahr veranstaltet ARGE zudem einen Buchhändler- und einen Journalistenworkshop.

Beim Workshop, einer Art Journalistenverschickung, der zunächst eingerichtet wurde, um ostdeutschen Journalisten die österreichische Literatur nahezubringen, fühlt man sich durchaus umschmeichelt. Also viel Freude, schickes Hotel, immer schön essen, sympathische Menschen („wir haben nur sympathische Menschen eingeladen“), ein engagierter Conférencier (der oben erwähnte Michael Fischer), der auch noch die U-Bahn-Karten kaufte auf dem Weg zum „Autorenheurigen“ in Grinzing und die Tickets einzeln austeilte.

Die aus Klagenfurt stammende und in Wien lebende Autorin Lydia Mischkulnig wollte zunächst gar keine nehmen, weil sie „seit 12 Jahren“ und „aus Prinzip“ nur schwarzfahren würde. In ihrem ziemlich tollen zweiten Roman „Hollywood im Winter“ (Haymon Verlag) geht es um Künstlers in der Festspielstadt, diverse Ödipusinszenierungen und vor allem um eine eitel durchgedrehte Künstler- und Mäzenatenszene, die sie wunderbar präzis, haßerfüllt und lustig beschrieben hat.

Früher hätte es die 34jährige Lydia Mischkulnig noch als demütigend empfunden, auf Stipendien angewiesen zu sein, inzwischen versucht sie, so viele wie möglich zu kriegen. Was auch nicht die Welt ist und grad mal so übers Jahr hilft.

Beim Autorenheurigen erörterten wir die Vorteile des Haschrauchens in der Eisenbahn. Im Alkoholnebel tauchte kurz der Kulturredakteur der Bunten auf, der inhaltlich an seinem Blatt auch nicht die größte Freude hat. Dann war er wieder fort. Untersuchungen haben übrigens ergeben, daß die Kurzkritik in der Brigitte weit mehr „bringt“, als ein paar jubelnde Seiten in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, was die Vertreterin der Brigitte mit Heiterkeit erfüllte.

Rolf Schwendter ging mit undurchsichtigem Blick am bunten Büffet vorbei. In seinem einen Buch („Rolf Schwendters Kochbuch“, Verlag Pro Media), dessen alte Version noch beim mittlerweile verendeten Kierkegaard- Verlag Syndikat erschienen war, versucht er, seine berühmte „Theorie der Subkultur“ auf die Gastronomie anzuwenden; im anderen („Arme essen – Reiche speisen“, Pro Media) entwirft er eine Sozialgeschichte der zentraleuropäischen Gastronomie. Stets trägt der in Kassel Lehrende ungefärbte Wollsachen, was ihm etwas entschieden Zivilisationskritisches verleiht.

Am Nachmittag stellte Peter Payer seine stadtsoziologische Untersuchung „Der Gestank von Wien“ vor (Verlag für Gesellschaftskritik), am nächsten Tag besichtigte man eine interessante marmorne Bedürfnisanstalt aus dem 19. Jahrhundert.

Der Journalistenworkshop war also sehr „lässig“, wie wir Schweizer zu sagen pflegen, und natürlich tausendmal angenehmer als die großen Buchmessen, bei denen das entspannte Gespräch doch eher schwer fällt. 19 Journalisten vor allem aus Deutschland, wo viele Verlage den größten Teil ihres Umsatzes machen, trafen auf 17 Verlage, die sich, ihre Autoren und ihre Frühjahrskollektionen vorstellten.

Vielfältig alles und meist sehr schön. Einige, wie der Wieser Verlag, dessen Verleger wegen seines Engagements in Sachen Balkan die eine und andere Morddrohung erhalten hatte, oder auch der Drava Verlag, engagieren sich sehr für die kleinen Literaturen des ehemaligen k.u.k. Gebiets, andere geben sich bibliophil, andere kamen mit Gitarre, und Max Droschl ist schlicht literaturverliebt.

Am schönsten plauderte der Musikwissenschaftler Herwig Knaus über sein Schubert-Buch („Schubert – Vom Wiener Vorstadtkind zum Compositeur“, Löcker Verlag), in dem es um die bislang wenig untersuchte Jugend des Komponisten geht.

Am sympathischsten verabschiedete sich Robert Azderball, in dessen Hannibal Verlag demnächst zwei recht interessant klingende Bücher zur Beat-Generation erscheinen werden: „Der Flügel des Engels“ versammelt die Texte des Ur-Beats Neal Cassady, „The Beat Generation“ von Steven Watson zeichnet ein Gruppenporträt der Väter der Subkultur. Coppola verfilmt übrigens gerade „On the road“, und der kleine, charmante Verleger verabschiedete sich mit Kratzfuß und der Bitte, „etwas für den kleinen Hannibal ein bißchen“ zu schreiben. Detlef Kuhlbrodt