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■ Cash & CrashNeues Lebensgefühl

Tokio (taz) – Das neue Lebensgefühl hatte in Japan einen Namen: Es hieß Endaka (hoher Yen) und begann Mitte der achtziger Jahre. Damals beschlossen die sieben reichsten Industrieländer mit dem inzwischen historischen Plaza Accord eine Aufwertung des Yen. Die erlaubte es japanischen Normalverdienern binnen kurzer Zeit, westliche Luxusgüter wie Champagner und Louis-Vuitton-Taschen scheinbar günstig zu erstehen und ihre kurzen Ferien in Paris, Venedig und New York zu verleben. Erst im April 1995, als der Dollar nur noch 80 Yen kostete, erreichte die Endaka-Welle ihren Höhepunkt.

Seit einigen Wochen aber macht sich in Japan ein monetärer Gezeitenwechsel bemerkbar: Die Rede ist plötzlich von Enyasu, dem billigen Yen. Verglichen mit seinem Stand im April 1995 hat der Yen heute 50 Prozent seines Wertes gegenüber dem Dollar eingebüßt. In den vergangenen Tagen pendelte er sich auf einen Dollar- Kurs zwischen 121 und 122 Yen ein. Auch mittel- und langfristig wird der Yen so lange schwach bleiben, wie die japanische Zentralbank ihren Leitzins auf dem Rekordtief von 0,5 Prozent beläßt oder nur unwesentlich anhebt. Die niedrigen Zinsen aber wird Japan noch einige Zeit benötigen, um den unter faulen Krediten kränkelnden Finanzsystem wieder auf die Beine zu helfen.

Das Inselreich muß mit dem billigen Yen also noch für einige Jahre auskommen lernen, und das ist offenbar nicht so einfach. An viele Genüsse hat man sich gewöhnt: Wer will schon den bisher so billigen französischen Wein wieder gegen japanischen Sake eintauschen? Manche werden ihre Urlaub gar von der neuentdeckten Mittelmeerküste wieder auf die heimatlichen japanischen Strände verlegen müssen. Kurz und gut: Viele sehen nur den Schaden, den ein schwacher Yen dem japanischen Prestige im Ausland zufügt. Es entstehen Ängste wie damals, als der Yen zum Höhenflug ansetzte und man den Zusammenbruch der japanischen Exporte unter dem Diktat des Plaza Accords befürchtete. Heute redet man dagegen Verlust an internationalem Einfluß und allgemeine Wirtschaftsschwäche herbei.

Die Sorgen um den teuren und den billigen Yen verraten freilich nur, wie eng viele japanische Normalbürger ihr Schicksal mit ihrer Währung verstricken. Unternehmern und Aktienbesitzern fällt das Kalkulieren leichter: Sie wissen, daß eine zehnprozentige Abwertung des Yen gegenüber dem Dollar zu einer durchschnittlichen Gewinnsteigerung japanischer Unternehmen um 12 Prozent führt. Wenn sich das entsprechende Lebensgefühl einstellt, könnte Enyasu also noch richtig populär werden. Georg Blume

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