War Rudolf Steiner ein Sexmagier?

Zwei Autoren, Brüder aus Balingen, wollen den Anthroposophen an die Wäsche und fordern das Verbot von Waldorfschulen. Ihr „Schwarzbuch“ darf nicht verkauft werden  ■ Aus Stuttgart Philipp Maußhardt

Stuttgart (taz) – Rudolf Steiner, der Gründer der Waldorfschulen, soll ein Satanist gewesen sein! Mehr noch: In einem „Schwarzbuch Anthroposophie“, das in diesen Tagen im Überreuter Verlag Wien erscheinen sollte, wird dem 1925 gestorbenen Pädagogen vorgeworfen, als Sexmagier, Okkultist, Rassist und Nationalist sein Unwesen getrieben haben.

Die Autoren, Michael und Guido Grandt aus dem schwäbischen Balingen, wollen in dieser Woche in Berlin ihr Enthüllungswerk vorstellen. Doch nun wurde das Buch per einstweiliger Verfügung vorerst vom Verkaufstisch genommen. Die Anthroposophische Gesellschaft befürchtet negative Konsequenzen für die 165 Waldorfschulen in Deutschland und hat gegen Verlag und Autoren geklagt.

Auf über 300 Seiten führen die Brüder Grandt Beweis darüber, was den Eltern von Waldorfschülern vorenthalten wird: Die Kinder würden im Unterricht mit der „vergeistigt-satanisch-verbrämten Gedankenströmungen“ des Schulgründers Rudolf Steiner vergiftet. Steiner, der 1919 in Stuttgart die erste Waldorfschule gründete, sei Mitglied der Freimaurerloge O.T.O. (Ordo Templis Orientis) gewesen, einem Okkultorden mit weltweiten Verbindungen.

Im Mittelpunkt des Ordens habe die Sexualmagie gestanden. Das „erigierte Glied“ sei der „Glaubensmittelpunkt“ des O.T.O. gewesen. Andererseits gestehen die Autoren ein, vom Sexualleben Rudolf Steiners nicht viel zu wissen. Nicht einmal eigene Nachkommen sind ihm nachzuweisen. Allerdings habe Steiner den Orgasmus „geadelt“, indem er die Fortpflanzung in den „Dienst der Erdentwicklung“ stellte. Ein wildes Konstrukt: Von 1906 bis 1914 soll Steiner höchster Repräsentant jenes Tempels in Deutschland gewesen sein. Der Orden, so glauben die Autoren, existiere bis heute im Geheimen weiter.

Steiner schreckte nicht einmal vor „der Zerstörung der Welt“ zurück, um eine bessere Welt einzurichten. Selbst Mord könne im okkulten System der Anthroposophie bisweilen „legalisiert“ werden. Als Zeugen müssen Waldorfschüler herhalten, die während ihrer Pubertätsjahre Satanspoesie verfaßt haben wie: „Nirgendwo gibt es Halt, es ist kalt und schwarz...“

Fazit: ein lustiges Buch. So werden Seiten von Rudolf Steiner beleuchtet, die, ob wahr oder nicht, zumindest als Anekdötchen taugen. Da saß der „Doktor“ einmal auf einer sonnigen Terasse und gab zwei Stück Würfelzucker in seinen Kaffee. Minutenlang starrte Steiner in die Tasse, und, auf sein Starren angesprochen, antwortete er angeblich: „Wenn die Menschen nur wüßten, was für ein großartiger Weltenprozeß sich abspielt, wenn sich Zucker in Kaffee auflöst.“

Wie fahrig das zusammengetragene Material ist, merkt der Leser an der wirren Aneinanderreihung von Zitaten. Zur Gewißheit soll so werden, was doch unbewiesen bleibt: Bei den Anthroposophen handelt es sich um einen gefährlichen Geheimbund.

Perfide werden die Brüder Grandt, wenn sie der Anthroposophie eine Nähe zum Nationalsozialismus unterstellen.

Denn obwohl die Waldorfschulen im Dritten Reich verboten waren und die Anthroposophische Gesellschaft 1935 aufgelöst wurde, hätte es eine starke Affinität zwischen „Nazis“ und „Sophen“ gegeben. Alfred Bäumler, Nazipädagoge, habe Steiners Auffassungen übernommen. Nazifunktionäre müssen als Zeugen Spalier stehen, die einmal Waldorfschüler gewesen waren. Und beweist nicht auch ein Vortrag Rudolf Steiners aus dem Jahre 1921, in dem er über die Wirkung von Zyankali sprach, daß er eigentlich schon die Vergasung der Juden im Sinne hatte?

Wer jetzt noch nicht lachen kann, muß in den folgenden Kapiteln des Gruselhandbuchs nun vollends zu Tode erschrecken, wenn es um den Alltag in den weltweit 700 Waldorfschulen geht. Da werde Hirnwäsche betrieben, gefoltert und Schüler in den Selbstmord getrieben. Selbstverständlich wird am Ende des Schwarzbuchs allen Eltern „dringend abgeraten, ihre Kinder auf solche Einrichtungen zu schicken“.

Beim „Bund der Waldorfschulen“ fürchtet man wohl nicht zu Unrecht, daß das Buch bei unbedarften Lesern zu einer negativen Haltung der Steiner-Pädagogik gegenüber führen könnte. „Hier werden Personen, die sich um Kinder, Alte und Kranke kümmern, in die Nähe satanischer Exzesse gerückt“, teilt ein Sprecher der Waldorfschulen zur Begründung der Klage gegen den Verkauf des Schwarzbuches mit.

Inzwischen hat eine „Initiative zur Anthroposophie-Kritik“ die Ministerpräsidenten der Bundesländer aufgefordert, Waldorfschulen zu verbieten. Die an ihnen gelehrten Inhalte seien wohl nicht mit der freiheitlichdemokratischen Grundordnung der Bundesrepublik zu vereinbaren.