Politik im Schaukelstuhl

■ Union und Grüne buhlen um die Gunst der SPD

Die Bündnisgrünen haben eine neue Chance für die Ökosteuer gesucht. Und der Krach zwischen Waigel und Blüm hat sie ihnen geboten. Zuerst konnte Fraktionschef Fischer bei der Debatte um die Regierungserklärung zum desolaten deutschen Arbeitsmarkt eindringlich für die grünen Abgaben werben. Jetzt legen Fischer und die grüne Bundestagsfraktion nach: Norbert Blüms Familienkasse und die aktive Arbeitsmarktpolitik der Bundesanstalt für Arbeit könne man künftig aus den Einnahmen der grünen Energiesteuer bezahlen. Gleichzeitig ließen sich die Lohnnebenkosten deutlich senken, Arbeit also billiger machen, alles wäre im Lot.

Dieser Vorschlag hat zwei Vorteile: Er ist der einzige in der laufenden Debatte, dem ein Bild von der Zukunft der Industriegesellschaft zugrunde liegt. Gleichzeitig definiert er die Bündnisgrünen als eigentlichen Nebenbuhler der Union.

Beide werben mit denkbar unterschiedlichen Konzepten um die Gunst der alten Tante SPD: Die CDU verspricht Milliarden an Steuergeschenken, ein bißchen mehr Gerechtigkeit und ansonsten ein entschlossenes „Weiter so“. Die Grünen werben mit einer ökologisch-ökonomischen Zukunft, zu der sie den genauen Weg allerdings auch nicht wissen.

Und was tut die SPD? Sie guckt sich die Angebote von Grünen und Union aus dem Schaukelstuhl an – und wartet ab. Und um keinen der potentiellen Bündnispartner zu verärgern und die interessierte Wählerwelt bloß nicht zu verunsichern, verzichtet sie vorsichtshalber ganz auf eigene politische Visionen.

Die Taktik ist verständlich. Denn die SPD-Strategen wissen, daß der ökologische Umbau der Industriegesellschaft das einzig halbwegs geschlossene Gegenkonzept zum rheinischen Neoliberalismus à la Helmut Kohl und Guido Westerwelle ist. Gleichzeitig wissen sie aber auch, daß man auf jedem der beiden möglichen Wege alte, liebgewonnene Gewohnheiten zurücklassen muß. Die SPD hat entschieden, es sei die Sache der anderen Parteien, den BürgerInnen diese Wege plausibel zu machen. Sie muß dabei darauf setzen, daß auch ihre eigene Wählerschaft ein ähnlich taktisches Verhältnis zur Zukunft dieser Gesellschaft hat. Hermann-Josef Tenhagen

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