Jesus nach dem Friseur

■ Geld allein macht nicht glücklich, wenn alle Welt behauptet, man sei nur ein Wurmfortsatz des Grunge: Bush kümmerts wenig, die Fans noch weniger

Gavin Rossdale muß ganz schön einstecken. Zwar hat er mit seiner Band Bush allein in den USA sieben Millionen Einheiten von dem Debüt-Album Sixteen Stone abgesetzt, doch die halbwegs seriöse Rockjournaille schlägt ihm überall und unisono ordentlich eins auf die Mütze.

Ein Umstand, der dem Engländer keine Sorgen bereiten muß. Schließlich kann die Kritik bequem als kollektives Unverständnis gedeutet werden und bereitet so einem Martyrium den Boden, das sich kommerziell ausschöpfen läßt. Leiden kommt gut, zumindest wenn es gut abfotografiert ist. Und hübsch sieht Rossdale immer aus – für Fotosessions reißt er sich auch gerne mal das Hemd von seinem makellosen Körper. Ein bißchen erinnert er dann an Jesus nach einem Friseurbesuch.

Ja, das Martyrium kommt immer gut. Auf Razorblade Suitcase, Bushs Nachfolgewerk zu dem gar nicht so überraschend erfolgreichen Debüt, suhlt sich das Grunge-Model Rossdale inzwischen noch schamloser in seinem Schmerz. Die Power-Riffs funktionieren hier als überlieferte Chiffren der Trauer, die zuweilen schon ziemlich fäulig riechen.

Daran kann auch der trockene Sound nichts ändern, der klar auf das Konto vom Produzenten Steve Albini geht. Mit dessen Hilfe sollten schon Nirvana auf ihrem letzen Studio-Album, In Utero, aus der Umarmung des Mainstreams gerissen werden. Die Entscheidung, den Sound-Radikalinski Albini als Produzenten zu bestellen, kommt also nicht von ungefähr. Ein verzweifelter Versuch, Credibility zu erkämpfen.

Die Grunge-Gewinnler Bush überlassen nichts dem Zufall. Außer vielleicht die Texte – die wirken manchmal wie gewürfelt. Was der mächtigen Wirkung keinen Abbruch tut, denn Rossdale wuchtet Schwachsinn mit der Intonation des Philosophen heraus. „Do you feel the way you hate / Do you hate the way you feel?“ singt er an einer Stelle und scheint sich dafür nicht einmal zu schämen.

Den Mitgliedern von Bush ist sowieso nichts peinlich. Bevor sie sich entschlossen haben, erfolgreichen Grunge-Rockern wie Nirvana nachzueifern, spielten sie schon bei der Plastik-Punk-Band Transvision Vamp und anderen musikalischen Unverantwortlichkeiten. Klar, da geht jede Scham verloren.

Rossdale, behüteter Sohn eines Londonder Arztes, ist sich nicht einmal zu schade, in Interviews die übliche Geschichte von den materiellen und mentalen Nöten des verkannten Künstlers runterzuleiern. Angeblich wußte er lange Zeit nicht, wie er seine Miete zahlen sollte.

Wahrscheinlich hat er in Interviews von anderen Rock'n'Rollern gehört, daß erst leiden muß, wer den späten Erfolg genießen will. Gavin Rossdale hat sich wirklich alles irgendwo abgeguckt. Irgendwie schamlos.

Christian Buß

Mo, 10. Februar, 21 Uhr, Große Freiheit, inklusive special guests