■ Kolumne
: Sudeten und Hundefutter

Als Opfer von E-Mails, Faxgeräten und Anrufbeantwortern, scheint auch der gute alte Leserbriefschreiber langsam im Sondermüllcontainer der Geschichte zu verschwinden. Das ist schade, denn früher brauchte man nur auf die Leserbriefseite einer Publikation zu schauen, um alles über sie zu erfahren. Will das Blatt was von mir? Gibt es jemand, der es braucht? Wenn ja, wie heißt er? Oder muß die Redaktion die Leserbriefe am Ende selber verfassen?

Die Antworten auf diese Fragen standen auf der „Briefe an den Herausgeber“-Seite. Ich freute mich immer über jene Leute, die sich etwa in der FAZ über die „Sudetenfrage“ oder die Ardennenoffensive ereiferten, denn ich dachte mir: Dann schreiben sie wenigstens nicht die Kennzeichen falsch parkender Autos auf. Aber sie sterben aus und ihre Enkel verständigen sich lieber in Piktogrammen.

So gesehen war auch der Berliner Musikjournalist und RoRoRo-Rock Lexikon-Herausgeber Barry Graves ein guter Typ, wie er so jeden Kritiker seiner Arbeit unnachsichtig und mit biblischem Zorn verfolgte. Auch wenn er sich dabei rationalen Argumenten selten aufgeschlossen zeigte und nicht selten unter die Gürtellinie zielte, und außerdem war er ein verdienstvoller Mensch.

Das ist ohne Zweifel auch Michael Naura. Eigentlich merkwürdig, daß so einer dann doch so ein kleines fragiles Ego hat. Oder wie ist es zu erklären, daß er jedesmal rot sieht, wenn jemand etwas gegen ihn sagt? Jüngstes Beispiel war die absolut berechtigte Kritik eines Szene-Hamburg-Autors gegen das ausgesprochen öde Programm des letzten Fabrik-Jazz-Festivals. Es war eine sichere Wette, daß sich Naura eine Replik auch diesmal nicht würde verkneifen könen. Und tatsächlich: Im folgenden Heft bezeichnete er seinen Kritiker als „eine Dose mit Hundefutter“. Irgendwie lustig – kommt da im Alter ein Hang zum Bizarren zum Vorschein? Oder stand ihm der Schaum schon so dicht vorm Mund, daß er noch nichtmal mehr Schimpfwörter formulieren konnte? Warum borgt er sich nicht mal bei seinem Nachbarn eine Messerspitze Souveränität?

Aber in der Jazz-Szene trifft man ja oft auf schillernde Gestalten. Da braucht man nur mal in das Buch Das Leben – ein Klang. Wege zwischen Jazz und Nada Brahma, die Autobiographie von „Jazz-Papst“ Joachim-Ernst Berendt hineinzuschauen.

Ich möchte nach reiflicher Überlegung diese Gelegenheit nutzen, um noch eine recht alte, private Rechnung zu begleichen. Vor geraumer Zeit stand hier direkt unter meiner Kolumne der Brief des taz-Lesers Peter Heck, der sich darüber beschwerte, die Band Phish sei in einer Konzertankündigung respektlos behandelt worden und der Name des Autoren sei bestimmt mein Pseudonym. Dazu muß ich richtigstellen: Ich habe besagten Text nicht verfaßt, habe auch gegen „gegniedelte Musik“ nichts einzuwenden und bin überdies in jedem Fall ein wesentlich profunderer Grateful-Dead-Kenner als Sie, Herr Heck! Ich muß jedoch zugeben, daß mich Ihr Brief besonders geschmerzt hat. Oder haben Sie schon jene Auktion im „Oldie Markt“ vor ungefähr zwölf Jahren vergessen, als Sie von mir eine Platte ersteigert (ich glaube, es war das Insect-Trust-Dabütalbum) und mit einem ungedeckten Scheck bezahlt haben? Ich dachte mir damals: Oje, so ein armer Mensch, ist völlig pleite, bietet aber dennoch auf Platten – das muß ein Guter sein. Da will ich mal nicht so sein und stillschweigend auf die mir zustehenden DM 20,- für die Platte plus DM 10,- Bankgebühr für das Einreichen eines nicht gedeckten Schecks verzichten.

Wohlgemerkt war ich damals noch kein vermögender taz-Kolumnist, sondern ein armes Studentlein. Es ist nicht recht, daß Sie mir jetzt so wenig freundlich begegnen, Herr Heck. Aber es gibt eben keine Anständigkeit mehr unter den Menschen.