Das Aufbäumen der Kaffeetassen

■ Das kleine Schwarz oder wie denkt ein Film: eine Eisenstein-Reihe im MetropolisEisen

Die Wahrheit ist ein Schnitt. Das kleine, nicht wahrzunehmende Schwarz zwischen einer zersplitterten Brille und einem aufgebäumten Steinlöwen, zwischen einem unkontrolliert die Treppe herunterrollenden Kinderwagen und der ungebremst auf ihn zustapfenden Stiefelreihe. So montierte Sergej Eisenstein seine Wahrheit vom Matrosenaufstand in Odessa virtuos in seinem weltberühnmtem Panzerkreuzer Potemkin (1925). Und er versprach vollmundig noch mehr davon: „Wir sind einzig und allein darauf aus, Wahrheit zu produzieren, ganz irdische, reale, unmystische Wahrheit“, formulierte er. Eine historisch-politische Wirklichkeit und ihr Mythos.

Der 1898 in Riga geborene, sprachtalentierte und bücherverschlingende Ingenieurssohn schlitterte von der bildungsbürgerlichen Kunsttradition in die revolutionäre Nachkriegsstimmung in Moskau. Die Künstler hier euphorisierten sich gegenseitig. Eine neue Gesellschaft wollten sie gestalten. Und zwar vom Ofen bis zur Kaffeetasse, von effizienterer Körperhaltung bis zum kollektiven Bewußtsein. Eisenstein „baute“ die Filme dazu. Aus vorzaristischer Armut und Vereinzelung sollte eine Masse auferstehen. Und der galt es, mit allgemeinverständlichen Zeichen- und Bildsystemen eine gesellschaftliche Mission klar zu machen. Egal, ob es um Kolchosenbildungen oder notwendige Industrialisierung unterentwickelter Regionen ging. Eisenstein nutzte hierfür seine Erfahrungen als Bühnenbildner und den Austausch mit Theaterregisseuren wie Meyerhold. Aus seiner Faszination für japanisches Kabuki-Theater sowie Jahrmarkt- und Zirkusdarbietungen sortierte er schauspielerische Formen des Pathetischen und Ekstatischen zu einer breiten Palette menschlicher Befindlichkeiten, Ausdrücke und Stereotypen.

Eisensteins Filme, die das Metropolis nun in einer Werkschau zeigt, wollen das Kino als Nahtstelle zwischen Unterbewußtem und Bewußtem, zwischen Gefühltem und Gedachtem neu besetzen. Die Bilder, von der Montage dialektisch nach alt und neu, gut und böse sortiert, sollen im Kopf des Zuschauers zusammenprallen. Jede Einstellung, jede Sequenz sich zur „Filmfaust“ ballen.

„Wir sind einzig und allein darauf aus, Wahrheit zu produzieren“, formulierte er 1926 und träumte vom großen Ganzen, dem Gesamtkunstwerk. Beseelt und durchaus entzückt von der eigenen Begeisterung für die entdeckten Montagemittel, krönte der Regisseur den Film nicht nur als Kunst aller Künste, sondern gar als Versöhner einer babylonischen Aufspaltung der Künste.

Ob man mit seinem berühmtesten Werk über den Aufstand in Odessa die Geburtsstunde der sowjetischen Filmkunst feiert oder ihn als Vorbote sozialistischer Propaganda-Kunst bewertet. An Eisensteins Regieleistung, seiner Montagetechnik, der Kühnheit der Bildausschnitte und Perspektiven, den straffen Plots und der ungeheuren Dynamik kam die Rezensentenwelt nicht vorbei. So schwärmt Billy Wilder über Panzerkreuzer Petemkin, seinen Lieblingsfilm: „Die Art, wie der Film dem Publikum an die Gurgel springt, überwältigt, jeder, der das Kino verließ (...) war bereit, die Tatsache zu schlucken, daß der Sieg ein Triumpf für Hammer und Sichel war.“

B. Glombitza

Diese Woche: „Streik“; 9.Februar., 17 Uhr/ „Panzerkreuzer Potemkin“, 9. Februar., 19 Uhr/ „Die Generallinie“, 12. Februar., 17 Uhr, /“Oktober –, 16. Februar., 17 Uhr, Metropolis