Selbstbestimmung? Ja, bitte, aber nicht so

■ Margaretha Kurmann ist Mitinitiatorin des „Netzwerks Pränataldiagnostik“

1995 wurde das „Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik“ gegründet, dem sich inzwischen rund 140 Einzelpersonen, Behindertenverbände, Geburtshäuser und andere Projekte angeschlossen haben. Das Netzwerk verlangt eine andere Schwangerenvorsorge, „in der nicht das Ungeborene oder gar politisch-eugenische Zielsetzungen, sondern die Frau als Subjekt im Zentrum“ steht. Nach seiner Jahrestagung forderte es Bundesgesundheitsminister, Bundesärztekammer und Krankenkassen auf, Pränataldiagnostik nur dann zu erlauben, wenn Schwangere sich vorher bei einer unabhängigen Stelle beraten lassen können.

taz: Das Netzwerk schreibt in seiner „Frankfurter Gründungserklärung“, daß Frauen ihre Schwangerschaft selbst gestalten können müssen. Muß das nicht Widerspruch auslösen bei vielen Frauen, die die Pränatale Diagnostik als Erweiterung ihrer Selbstbestimmung begreifen?

Kurmann: Für einige Frauen mag das eine Erweiterung sein. Doch viele Schwangere überlassen sich der üblichen Routine der Schwangerenvorsorge und damit der Pränatalen Diagnostik, ohne sich explizit damit auseinanderzusetzen. Die Konflikte kommen oft erst zum Tragen, wenn nicht „alles gut geht“. In jedem Fall müssen die Frauen die Folgen tragen: bei einem späten Abbruch, einer Fehlgeburt oder unklaren Befunden. Im übrigen sind die Frauen nicht demonstrieren gegangen unter dem Slogan: „Wir wollen die Fruchtwasseruntersuchung für alle“. Diese Methoden wurden von MedizinerInnen und HumangenetikerInnen entwickelt und werden nachträglich den Frauen unter dem Vorzeichen von Selbstbestimmung verkauft. Selbstbestimmung heißt für mich Handlungsoptionen zu erweitern. Durch die vorgeburtliche Diagnostik geraten Frauen jedoch in immer neue Entscheidungszwänge, die ihnen Gestaltungsmöglichkeiten in der Schwangerschaft nehmen können.

Ist es nicht ein Widerspruch, tendenziell für Abtreibung zu sein, aber tendenziell gegen Abtreibung von Normabweichlern?

Es ist umgekehrt: Durch den Paragraphen 218 wird mit Beginn der Schwangerschaft ein individuelles menschliches Subjekt – das „Kind“ – in die Frau hineinkonstruiert, um dieses dann schnurstracks zu entmenschlichen, wenn es nicht den Gesundheitsnormen entspricht. Für mich ist ein Schwangerschaftsabbruch nicht die Tötung eines „Kindes“, sondern die Entscheidung einer Frau, einem Lebensprozeß, der zuerst nur sie betrifft, ein Ende zu setzen. Schwierig finde ich es, wenn eine Frau nach ausführlicher Testung im 5. oder 6. Monat entscheidet, daß dieses bestimmte „Kind“ nicht den eigenen Vorstellungen entspricht und dann einen Abbruch machen läßt. Ich finde, daß wir über selektive Abbrüche oder den Fetozid eine frauenpolitische Auseinandersetzung führen müssen. Hier sollte nicht der Abbruch skandalisiert werden, sondern die selektiven Absichten Pränataler Diagnostik und unsere gesellschaftlichen Bewertungen von Behinderung und Krankheit. Interview: Eva Schindele