Auch deutsches Tiermehl siedet nicht BSE-sicher

■ Die Temperatur in den Kesseln der Abdecker bleibt manchmal knapp unter der Grenze, bei der alle Rinderwahnerreger absterben – Gefährlichkeit bleibt unklar

Berlin (taz) – Ein Drittel des deutschen Tiermehls wird nicht unter den vorgeschriebenen Bedingungen erzeugt, meldete gestern der Westdeutsche Rundfunk. Tierkadaver würden nicht 20 Minuten bei 133 Grad und dreifachem Atmosphärendruck verkocht, sondern bei niedrigeren Temperaturen – ein Teil der eventuell vorhandenen Rinderwahnerreger könnten also in das Tiermehl und von da in die Tröge von Schweinen und Geflügel und damit in den menschlichen Nahrungskreislauf gelangen, so die Botschaft.

Wenn die Erreger des Rinderwahns wirklich die harsche Prozedur unter Hitze und Druck überlebten, wären die Auswirkungen gravierend: Die deutsche Methode ist das Vorbild für die ganze Europäische Union und die Schweiz, mithin wären also viele Länder betroffen. Besonders die Schweiz hätte dann ein Tiermehl-Problem, weil bei bisher 230 Rinderwahnfällen im Land garantiert auch BSE- Fleisch zu Tiermehl verarbeitet wurde.

Der Wissenschaftler, auf den sich der WDR-Bericht beruft, versucht allerdings, die Gemüter zu beruhigen: „Die Tiermehle aus den fraglichen Proben wurden zwar nicht bei 133 Grad, nach weiteren Messungen aber mindestens bei 125 Grad Celsius verkocht“, so Klaus Hoffmann, wissenschaftlicher Direktor der Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach. Zum Vergleich: „90 Prozent der BSE-Erreger sind schon bei 90 Grad deaktiviert“, so Prionenforscher Detlev Riesner von der Uni Düsseldorf. „Aber das ist natürlich noch kein absolut sicherer Schutz gegen eine Infektion.“

Proben aus etwa der Hälfte der 41 deutschen Tierkörperbeseitigungsanstalten untersuchte die Kulmbacher Bundesanstalt in der ersten Jahreshälfte 1996. Alle Betriebe haben damals zugesichert, den Mangel zu beheben. Die genaue Einhaltung der 133 Grad samt dem Druck von drei Bar ist wichtig, wie auch Chris Bostock vom britischen Institut für Tiergesundheit in Edinburgh und Compton erklärt. Er war an den maßgebenden Versuchen beteiligt, die Anhaltspunkte für eine Deaktivierung der BSE-Erreger geben. Dabei wurde BSE-verseuchtes Fleisch und Hirn mit verschiedenen Methoden verkocht und dann Mäusen gespritzt. „Erst wenn die gespritzte Masse bei mindestens 133 Grad Celsius und drei Bar Druck 20 Minuten erhitzt wurde, war auch bei stark verseuchten Proben keine Infektion der Mäuse festzustellen“, so Bostock gestern.

1981 senkten die Briten die Prozeßtemperatur bei der Verarbeitung toter Tiere auf 80 Grad Celsius ab. Seitdem sind über 160.000 Rinder in Großbritannien an BSE gestorben. Bei 14 Menschen wurde die von BSE stammende Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit festgestellt.

Bei der Kadaververarbeitung werden bis zu 7 Tonnen Fleisch und Knochen in einem Kessel erhitzt. Die Masse trennt sich in drei Teile. Oben schwimmt das flüssige Fett. Es wird abgelassen und industriell weiterverwertet. Zu Boden sinken die festen Bestandteile wie Knochen. Dazwischen ist der Rest, zum Beispiel Eiweiße und Wasser. Dieser Rest wird getrocknet und als nahrhaftes Mehl an Tiere verfüttert – früher auch an Pflanzenfresser, seit dem BSE-Skandal nur noch an Fleischfresser wie Schweine, Geflügel oder Nerze.

Nach den bisherigen Forschungsergebnissen überlebten die wahrscheinlichen Auslöser des Rinderwahns, die Prionen, die abgeschwächte Tiermehlprozedur der Briten. Prionen sind eiweißartige, verschlungene Moleküle. Sie vermehren sich im Körper und lagern sich im Gehirn ab.

Warum erhitzen die TVA die Tierleichen nicht einfach auf 140 Grad oder mehr? Weil die Anlagen meist nur bis zu einem Druck von drei Bar und 133 Grad ausgelegt sind. Wenn die Temperatur viel höher steigt, würden die Anlagen im roten Bereich fahren. Außerdem wären dann alle Eiweiße im Mehl weitgehend zerstört. Der Wert als Futtermittel in der Tiermast ginge gegen null, die jährlich 1,4 Millionen Tonnen Tiermehl in Deutschland wären unverkäuflich. Reiner Metzger