Sozialisten beugen sich dem Druck der Straße

■ In Bulgarien war der Haß auf die „Roten“ nicht der einzige Motor der Bewegung. Der „Erfolg der Straße“ ist Ergebnis eines neuen Bewußtseins der eigenen Stärke

Fast majestätisch betrat Bulgariens Staatschef Petar Stojanow am Dienstag abend den Balkon des Präsidialamtes in Sofia. Die Erleichterung war ihm anzusehen. Mehrfach hatte Stojanow in den vergangenen Tagen versucht, die verhärteten Fronten aufzubrechen – vergeblich. Wie bockige Kinder beharrten die Sozialisten (BSP) auf einer erneuten Regierungsbildung, die Opposition, mit ihren Anhängern auf der Straße im Rücken, hielt dagegen.

Nun konnte der Präsident, der einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Regierenden und Regierten zum Programm erhoben hat, der jubelnden Menge doch noch einen Kompromiß präsentieren: Es wird keine neue Regierung unter Führung der Sozialistischen Partei in Bulgarien geben, dafür aber Neuwahlen, und die bereits in der ersten Aprilhälfte.

Für diese Ziele waren Zehntausende in vielen Teilen des Landes rund einen Monat lang tagtäglich auf die Straße und Anfang der Woche sogar auf die Barrikaden gegangen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn nachdem die Sozialisten Ende der vergangenen Woche zur Regierungsbildung ansetzten, hatten auch noch die Gewerkschaften zum Generalstreik geblasen – Sofia und andere größere Städte des Landes mutierten für kurze Zeit unfreiwillig zur verkehrsberuhigten Zone.

Dabei funktionierte die Mobilisierung der Massen immer nach dem gleichen Schema und fand ihren Ausdruck in griffigen Parolen, die auf jeder Demonstration präsent waren: „Nieder mit dem roten Müll“ und „Sozialisten – rote Mafiosi“. Doch der Haß auf die „Roten“, als Inkarnation allen Übels, die für das wirtschaftliche Desaster verantwortlich gemacht werden, war nicht der einzige Motor der Bewegung. Vielmehr waren es auch ein wiedererwachtes Bewußtsein der eigenen Stärke, verbunden mit dem Gefühl, durch Druck von unten endlich etwas in Bewegung setzen zu können. Auch um den Preis einer totalen Blockade des ganzen Landes.

„Bulgarien – Sieg“ stand in großen Buchstaben auf den Fahnen der Opposition. Jetzt sind die Sozialisten wirklich eingeknickt und haben zunächst einmal den Rückzug angetreten. „Liebe Freunde, das ist der Sieg“, rief Iwan Kostow, der Vorsitzende des größten Oppositionsbündnisses, SDS, den Demonstranten am Dienstag abend zu.

Recht hatte Kostow, und auch wieder nicht. Denn dieser „Erfolg der Straße“ ist nur ein Etappensieg. „Die Schwierigkeiten beginnen erst jetzt“, kommentierte der staatliche Rundfunk in Sofia den erreichten Kompromiß. Und traf damit ins Schwarze, besser gesagt ins Blaue: die Farbe der Opposition. Denn die hat sich bis jetzt noch nicht konkret dazu geäußert, wie die dringendsten Probleme in der Übergangszeit bis zu den Neuwahlen angepackt werden sollen.

Aufgrund des wochenlangen Gezerres um die Regierungsbildung hat Bulgarien noch immer keinen Haushalt für das laufende Jahr verabschiedet. Auch für den Währungsrat, dessen Schaffung vom Internationalen Währungsfond (IWF) als Voraussetzung für Finanzhilfen und eine Sanierung der maroden Staatsfinanzen gefordert wird, fehlt bis jetzt noch jegliche gesetzliche Grundlage. Wer die allerdings erarbeiten und beschließen soll, ist im Moment mehr als fraglich.

Und so gilt es nach dem Rückzug der BSP auch juristisch einige Klippen zu umschiffen. Bulgarische Rechtsexperten tüfteln unter Hochdruck an einem möglichen Prozedere. Präsident Stojanow wird jetzt das Parlament auflösen, damit Neuwahlen ausgeschrieben werden können, und eine Interimsregierung einsetzen. Deren Vollmachten sind allerdings nicht ganz klar. Zwar kann eine solche Regierung beispielsweise Verhandlungen über Kredite führen, aber keine internationalen Abkommen abschließen. Denn diese müssen nach der Verfassung auch vom Parlament ratifiziert werden. Das jedoch muß sich dazu erst neu konstituieren. Barbara Oertel