Fest für Außenseiter

■ Mit einer Marathonveranstaltung wird heute im Medienzentrum der 125ste Lessing-Geburtstag begangen

ch bin Deutscher! Und wenn ich sage: Ich bin Deutscher, so ist das kein Bekenntnis des Mundes und kommt nicht aus Menschenfurcht und nicht aus Zugeständnissen an den nationalen Irrsinn der Zeit. Es ist das Bekenntnis des Tropfens zu seiner Quelle. Des Baumes zu seinen Wurzeln. Bekenntnis zur Sprache, die aus mir bricht. Des Seelenbrotes, davon ich lebe. Der Erde, darin alle ruhen, die mich liebten; daraus alle wuchsen, die ich liebe.“

Also sprach ein Philosoph, Hannoveraner und deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens anno 1933 kurz nach seinem Gang ins tschechische Exil. Wenige Monate später war er tot – ermordet aus der Hand gedungener Schurken. Sein Name: Theodor Lessing. Als Visionär und Kulturkritiker gehörte er zu den streitbarsten und schillerndsten Figuren der deutschen Geisteswissenschaft in diesem Jahrhundert. Außerdem wirkte er als Bildungsreformer, geriet aber als Gründer einer ersten freien Volkshochschule in seiner Heimatstadt in Vergessenheit. Am morgigen Sonnabend vor 125 Jahren wurde er in der niedersächsischen Hauptstadt geboren. Schon heute nehmen der Bremer Donat-Verlag und das Medienzentrum dieses Ereignis zum Anlaß, Lessing in einer Mammutveranstaltung mit Ausstellung, Filmvorführung, Lesung und Diskussion zu würdigen.

Schon im Namen dieses Mannes klingen eine alte Hoffnung und das spätere Scheitern einer Utopie an: Denn Theodor Lessing stammte aus einer jüdischen Familie, die sich nach der preußischen Anordnung zum Namensrecht vor zwei Jahrhunderten nach dem Autor des „Nathan“ nannte. Bis zum gewaltsamen Tod lebte dieser Theodor Lessing die ganze Widersprüchlichkeit von aktiver Assimilation und passivem Ausgeschlossensein. Das bis ins Pathetische reichende Bekenntnis zum Deutsch-Sein, sein Austritt aus der jüdischen Gemeinde im Jahr 1893 und seine durch den Zionismus inspirierte Rückwendung zum Judentum sind dafür die deutlichsten Zeichen.

In einer so intelligenten wie – noch immer – unter einem fast besserwisserischen Eindruck des Sozialismus-Kollaps' stehenden Laudatio zum 75sten Bestehen der Volkshochschule Hannover bezeichnete der Schriftsteller Günter Kunert Lessing zu Recht als Außenseiter. Und der war er gleich in mehrfacher Hinsicht: Obwohl sich Lessing als Sozialist und Kommunist bezeichnete, kritisierte er die SPD der Weimarer Republik als bürgerlich gewordene Partei. Wichtiger noch: Karl Marx rückte er in die Nähe einer Entwicklungsgeschichte, die Darwins biologisches Modell vom Aufstieg des Menschen auf das Soziale überträgt.

In einer Vorwegnahme von vielen Grundgedanken der kritischen Theorie prognostizierte Lessing, daß sowohl Sozialismus als auch Kapitalismus die Gesellschaft in eine Maschine zu verwandeln gedächten, ganz einfach, weil beide Modelle auf die „dampfwalzenhafte“ Industrialisierung setzten. Die „Maschine“ taucht später etwa bei Adorno in seinem Begriff vom globalen Arbeitshaus wieder auf.

Lessings Außenseiterrolle offenbart sich erst im Vergleich mit den Gedankenwelten der größtenteils naiv-fortschrittsgläubigen Zeitgenossen: Die Industrialisierung galt – richtig angewandt – als Segen, nicht wenige linke Intellektuelle hielten selbst eine „kontrollierte Zuchtwahl“ des Menschen für machbar und erstrebenswert, und ein junger Dichter namens Bert Brecht ist über Henry Fords Fließbandfabriken regelrecht ins Schwärmen geraten.

Gleichwohl gibt es bei Lessing auch eine andere Seite, von der Kunert meint, man könnte sie als „gespaltenes Bewußtsein“ bezeichnen. So hatte Lessing eine tiefe Neigung für alles Exotische und religiös Andersartige: „Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus erhalten den Schimmer, falls nicht gar die Gloriole defensiver, naturschützender Religionen.“ Und: „Aus der Idealisierung damals noch ziemlich abgelegener Völkerschaften meldet sich die unüberwindliche Aversion gegen die Kultur, der man selber entstammt.“

Aus heutiger Sicht und auf den zweiten Blick betrachtet, schlummert auch in dieser Vorliebe eine Vorwegnahme: Studiert man die Anzeigen esoterischen oder fernöstlichen Inhalts, wandelt sich der harte und bisweilen bittere Philosoph Lessing in einen Vorläufer für diese noch immer aktuellen Schwärmereien. ck

Der 125ste Geburtstag Theodor Lessings wird heute ab 17 Uhr im Medienzentrum gefeiert. Den Auftakt macht die Eröffnung einer Ausstellung mit Zeichnungen von Alfred Hrdlicka. Der Wiener Künstler ist anwesend. Anschließend wird Romouald Karmakars Film „Der Totmacher“ über den Massenmörder Haarmann gezeigt – Lessing hatte über den Prozeß geschrieben. Ab 20 Uhr wird der zweite Band „Wir machen nicht mit“ aus der Reihe mit ausgewählten Schriften (Donat-Verlag) in einer Lesung und Diskussionsveranstaltung vorgestellt.